Expertise und Beratung - für alte Kutschen von Andres Furger Teil 1


Im deutschsprachigen Bereich gibt es keine spezielle Literatur zum Thema Konservierung und Restaurierung von historischen Kutschen. Das ist ein Zeichen, dass es hier um eine heikle und nicht ganz einfache Sache geht. Viele Enthusiasten von alten Kutschen haben hier schon ihre negativen Erfahrungen gemacht. Die Wiederherstellung eines alten Fahrzeugs kann teuer werden, das
Resultat unbefriedigend. Besonders deutlich wird es dann, wenn man den für den vermeintlich gut restaurierten Wagen beim Wiederverkauf die investierte Summe nicht annähernd zurück erhält.


Die Ausgangssituation damals
Unsere historischen Kutschen, die wir heute noch fahren, stammen meistens aus der Zeit um 1900. Einige (vor allem ländliche Modelle) sind noch in kleineren handwerklichen Betrieben entstanden, die meisten (darunter fast alle Sport- und Stadtwagen) aber in spezialisierten Fabriken. Es sind mit industriellen Hilfsmitteln gefertigte, ausgefeilte Produkte. Ausgefeilt im wahrsten Sinne: In den größeren Wagenfabriken gab es spezialisierte Feiler (franz. limeurs), die nichts anderes machten als Eisenteile zu überfeilen. So entstanden harmonisch gerundete Formen, bei denen keine Spuren von Schweißnähten mehr zu sehen waren.
 

Innerhalb der Wagenfabriken galt eine streng geregelte Struktur mit Schlosserei Schmiede, Werkstätten der Gestellmacher und der Kastenmacher, Atelier der Maler und Lackierer sowie die Sattlerei. Jedem Betriebsteil stand ein gut ausgebildeter Meister vor, der nur sauberste Arbeit durchließ, wenn beispielsweise der aus bestem Holz gefertigte Kasten zum Beschlagen der Eisenteile in die Schlosserei hinüberwechselte. Über allem wachte der Wagenfabrikant, der auch für den Kontakt mit den Kunden zuständig war.
Kunden kamen auch zwischendurch in die Fabrik und nahmen Einblick in den Fortgang der Arbeiten an dem von ihnen bestellten Wagen. Grosse Kunden, wie die Post, bestanden sogar auf Zwischenabnahmen, etwa bevor die Bemalung begann. Und sie bezahlten die letzte Rate für das Fahrzeug erst nach Ablauf einer längeren Garantiefrist. Die Wagenfabrikanten präsentierten ihre neuen Wagen öfters auf Ausstellungen (lokalen Gewerbeausstellungen, Landes- oder sogar Weltausstellungen) und verkauften sie dort, nachdem sie von einer fachkundigen Jury inspiziert worden waren. Da kam dann jeder Konstruktionsfehler zur Sprache, die Qualität der verwendeten Stoffe sowie Leder und es wurde der Finish der Arbeit, in der Fachsprache „bien finie“ genannt, bewertet, gewissermaßen der letzte Schliff.
Die Ansprüche an den Stil und die Arbeit an einer neuen Kutsche und der darin verarbeiteten Materialien waren früher auch deshalb enorm hoch, weil die Konkurrenz unter den Wagenfabriken und die Kennerschaft der Kunden groß war. Ein schöner Luxuswagen war früher im Vergleich zu einem heutigen Auto weitaus teurer und der neue Besitzer wusste, sein neues Fahrzeug würde von seinen Freunden und Kollegen genau unter die Lupe genommen. War es nicht nach der neusten Mode gebaut, zu ärmlich oder auch zu reich ausgestattet, dann fiel die Neuerwerbung in der Gesellschaft durch.

 

Die Ausgangssituation heute
Heute sind die Wagenfabriken seit langem verschwunden, die Spezialisten verstorben. Es gibt die Handwerker nicht mehr, die eine mehrjährige Lehre in einer Spezialdomäne des Kutschenbaus hinter sich haben, mehrere Jahre auf „Wanderschaft“ waren, wie dies die Zünfte früher vorschrieben, bevor man dann als „Geselle“ oder gar als Meister tätig werden konnte. Es gibt den Wagenmaler
nicht mehr, der tagaus tagein immer dasselbe macht, etwa mit dem Schlepperpinsel feine Zierlinien zieht. Solche Leute kannten die Konsistenz der aus Pigment und Öl selbst angerührten Farben genau, hatten die richtigen Pinsel, kannten jede Ecke und Kante der Kutsche und wussten, wie sie den Pinsel ansetzen, ruhig und doch entschlossen ziehen mussten. Wer kann hier vom Erfahrungshintergrund her noch mithalten? Leider kaum jemand! Die gleiche Qualitätsstufe wie früher ist heute schon deshalb nicht mehr zu erreichen, weil auch das Angebot der Materialien nicht mehr dasselbe ist, besonders im textilen Bereich. So gibt es etwa die Zulieferfirmen nicht mehr, die das schwere Wolltuch und die auf Jacquardwebstühlen gewebten Borten in verschiedenen Farben und Dessins offerieren. Im handwerklichen Bereich hat in den letzten hundert Jahren viel verändert. Die Ideale des Handwerksberufs haben sich in einigen Bereichen verschoben, die Ausbildung geht in eine andere Richtung als früher und die in ein Produkt investierte Zeit wird laufend verkürzt. Die Schulung des Auges für das Detail ist oft nicht mehr dasselbe; wer aber die Qualität im Kleinen nicht zu erkennen
vermag, kann sie selbst nicht mehr hervorbringen. Auf der Kundenseite gibt es dieselbe Entwicklung, das Qualitätsbewusstsein nimmt ab, das Preisbewusstsein zu. - Nun gibt es aber immer wieder Liebhaber von alten Wagen, die die Qualitätsarbeit an alten Kutschen zu erkennen und zu schätzen imstande sind. Sie wollen diese nicht nur erhalten, sondern auch benützen. Sie wissen: Das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden, aber sie wollen dennoch die Räder alter Wagen wieder rollen lassen! Da heißt die
Devise: Das Beste aus der bestehenden Situation machen. Man muss sich zwar abfinden, dass die alte Qualität nicht mehr ganz zu erreichen ist, aber es gibt da und dort noch Fachleute, die sich der Qualitätsarbeit verschrieben haben. (Diese sind in der Regel auch gar nicht viel teurer als jene, die von sich behaupten, eine Restaurierung ebenfalls durchführen zu können, der Sache aber nicht gewachsen sind.)
Gute handwerkliche Spezialisten mit anspruchsvollen Eigentümern von alten Kutschen zusammenzuführen, ist hier die Kunst. Bei den „Spezialisten“ handelt es sich einerseits um Handwerker, die sich mit Leib und Seele qualitätvoller Restaurierungen verschrieben haben, und historisch Bewanderte, die etwas von de Sache verstehen. Ganz ähnlich gehen die Museen vor, die manuell
arbeitenden Konservatoren-Restauratoren arbeiten eng mit den akademischausgebildeten Kuratoren zusammen.
 

 

Andres Furger 

 



Im deutschsprachigen Bereich gibt es keine spezielle Literatur zum Thema Konservierung und Restaurierung von historischen Kutschen. Das ist ein Zeichen, dass es hier um eine heikle und nicht ganz einfache Sache geht. Viele Enthusiasten von alten Kutschen haben hier schon ihre negativen Erfahrungen gemacht. Die Wiederherstellung eines alten Fahrzeugs kann teuer werden, das
Resultat unbefriedigend. Besonders deutlich wird es dann, wenn man den für den vermeintlich gut restaurierten Wagen beim Wiederverkauf die investierte Summe nicht annähernd zurück erhält.


Die Ausgangssituation damals
Unsere historischen Kutschen, die wir heute noch fahren, stammen meistens aus der Zeit um 1900. Einige (vor allem ländliche Modelle) sind noch in kleineren handwerklichen Betrieben entstanden, die meisten (darunter fast alle Sport- und Stadtwagen) aber in spezialisierten Fabriken. Es sind mit industriellen Hilfsmitteln gefertigte, ausgefeilte Produkte. Ausgefeilt im wahrsten Sinne: In den größeren Wagenfabriken gab es spezialisierte Feiler (franz. limeurs), die nichts anderes machten als Eisenteile zu überfeilen. So entstanden harmonisch gerundete Formen, bei denen keine Spuren von Schweißnähten mehr zu sehen waren.
 

Innerhalb der Wagenfabriken galt eine streng geregelte Struktur mit Schlosserei Schmiede, Werkstätten der Gestellmacher und der Kastenmacher, Atelier der Maler und Lackierer sowie die Sattlerei. Jedem Betriebsteil stand ein gut ausgebildeter Meister vor, der nur sauberste Arbeit durchließ, wenn beispielsweise der aus bestem Holz gefertigte Kasten zum Beschlagen der Eisenteile in die Schlosserei hinüberwechselte. Über allem wachte der Wagenfabrikant, der auch für den Kontakt mit den Kunden zuständig war.
Kunden kamen auch zwischendurch in die Fabrik und nahmen Einblick in den Fortgang der Arbeiten an dem von ihnen bestellten Wagen. Grosse Kunden, wie die Post, bestanden sogar auf Zwischenabnahmen, etwa bevor die Bemalung begann. Und sie bezahlten die letzte Rate für das Fahrzeug erst nach Ablauf einer längeren Garantiefrist. Die Wagenfabrikanten präsentierten ihre neuen Wagen öfters auf Ausstellungen (lokalen Gewerbeausstellungen, Landes- oder sogar Weltausstellungen) und verkauften sie dort, nachdem sie von einer fachkundigen Jury inspiziert worden waren. Da kam dann jeder Konstruktionsfehler zur Sprache, die Qualität der verwendeten Stoffe sowie Leder und es wurde der Finish der Arbeit, in der Fachsprache „bien finie“ genannt, bewertet, gewissermaßen der letzte Schliff.
Die Ansprüche an den Stil und die Arbeit an einer neuen Kutsche und der darin verarbeiteten Materialien waren früher auch deshalb enorm hoch, weil die Konkurrenz unter den Wagenfabriken und die Kennerschaft der Kunden groß war. Ein schöner Luxuswagen war früher im Vergleich zu einem heutigen Auto weitaus teurer und der neue Besitzer wusste, sein neues Fahrzeug würde von seinen Freunden und Kollegen genau unter die Lupe genommen. War es nicht nach der neusten Mode gebaut, zu ärmlich oder auch zu reich ausgestattet, dann fiel die Neuerwerbung in der Gesellschaft durch.

 

Die Ausgangssituation heute
Heute sind die Wagenfabriken seit langem verschwunden, die Spezialisten verstorben. Es gibt die Handwerker nicht mehr, die eine mehrjährige Lehre in einer Spezialdomäne des Kutschenbaus hinter sich haben, mehrere Jahre auf „Wanderschaft“ waren, wie dies die Zünfte früher vorschrieben, bevor man dann als „Geselle“ oder gar als Meister tätig werden konnte. Es gibt den Wagenmaler
nicht mehr, der tagaus tagein immer dasselbe macht, etwa mit dem Schlepperpinsel feine Zierlinien zieht. Solche Leute kannten die Konsistenz der aus Pigment und Öl selbst angerührten Farben genau, hatten die richtigen Pinsel, kannten jede Ecke und Kante der Kutsche und wussten, wie sie den Pinsel ansetzen, ruhig und doch entschlossen ziehen mussten. Wer kann hier vom Erfahrungshintergrund her noch mithalten? Leider kaum jemand! Die gleiche Qualitätsstufe wie früher ist heute schon deshalb nicht mehr zu erreichen, weil auch das Angebot der Materialien nicht mehr dasselbe ist, besonders im textilen Bereich. So gibt es etwa die Zulieferfirmen nicht mehr, die das schwere Wolltuch und die auf Jacquardwebstühlen gewebten Borten in verschiedenen Farben und Dessins offerieren. Im handwerklichen Bereich hat in den letzten hundert Jahren viel verändert. Die Ideale des Handwerksberufs haben sich in einigen Bereichen verschoben, die Ausbildung geht in eine andere Richtung als früher und die in ein Produkt investierte Zeit wird laufend verkürzt. Die Schulung des Auges für das Detail ist oft nicht mehr dasselbe; wer aber die Qualität im Kleinen nicht zu erkennen
vermag, kann sie selbst nicht mehr hervorbringen. Auf der Kundenseite gibt es dieselbe Entwicklung, das Qualitätsbewusstsein nimmt ab, das Preisbewusstsein zu. - Nun gibt es aber immer wieder Liebhaber von alten Wagen, die die Qualitätsarbeit an alten Kutschen zu erkennen und zu schätzen imstande sind. Sie wollen diese nicht nur erhalten, sondern auch benützen. Sie wissen: Das Rad der Zeit kann nicht zurückgedreht werden, aber sie wollen dennoch die Räder alter Wagen wieder rollen lassen! Da heißt die
Devise: Das Beste aus der bestehenden Situation machen. Man muss sich zwar abfinden, dass die alte Qualität nicht mehr ganz zu erreichen ist, aber es gibt da und dort noch Fachleute, die sich der Qualitätsarbeit verschrieben haben. (Diese sind in der Regel auch gar nicht viel teurer als jene, die von sich behaupten, eine Restaurierung ebenfalls durchführen zu können, der Sache aber nicht gewachsen sind.)
Gute handwerkliche Spezialisten mit anspruchsvollen Eigentümern von alten Kutschen zusammenzuführen, ist hier die Kunst. Bei den „Spezialisten“ handelt es sich einerseits um Handwerker, die sich mit Leib und Seele qualitätvoller Restaurierungen verschrieben haben, und historisch Bewanderte, die etwas von de Sache verstehen. Ganz ähnlich gehen die Museen vor, die manuell
arbeitenden Konservatoren-Restauratoren arbeiten eng mit den akademischausgebildeten Kuratoren zusammen.
 

 

Andres Furger