Expertise und Beratung - für alte Kutschen von Andres Furger Teil 2


 

 

 

Braucht es neben guten Handwerkern auch Experten und Fachberater?
 

Nach der praktischen Erfahrung des Schreibenden sind es zwei hauptsächliche Bereiche, bei denen der Zuzug einer Fachberatung angezeigt erscheint. Der Experte sollte gewissermaßen die Rolle übernehmen können, die gegenüber einem Kunden früher der Wagenfabrikant übernahm. Er beriet den Besteller eines neuen Wagens aufgrund seiner Wünsche und seiner Ansprüche im Detail. Mit welchen Pferden wird der neue Wagen gefahren werden, wozu soll er vor allem dienen, wie viel darf er kosten usw.? Dementsprechend wurden Musterzeichnungen vorgelegt und erste Skizzen hingeworfen. So entstand ein Dialog, ein Prozess zwischen dem speziell ausgebildeten Carrossier und dem Kunden. Zweitens muss der Experte heute historisch denken können, über entsprechendes Wissen verfügen und Zugang zu einschlägigen Büchern und Informationsquellen haben. Denn jeder alte Wagen ist ein Einzelfall. „Die“ alte Kutsche, die man nach einem Schema x behandeln könnte, gibt es kaum. Die drei folgenden Beispiele zeigen, dass da und dort Gefahren lauern, die einem die Freude am Hobby und Fahrsport nehmen können:

Herr X wechselt vom Leistungssport in den Traditionssport. Er kauft sich einen alten Landauer, übergibt ihn dem Betrieb, der mit Erfolg seine Turnierwagen baute und wartete, und lässt ihn dort nach einem kurzen Gespräch für viel Geld à fond erneuern. Dann verliebt er sich in ein noch schöneres ähnliches, aber besser erhaltenes Modell und möchte deshalb den restaurierten Wagen verkaufen. Die Angebote bewegen sich in der Höhe des Ankaufspreises, die große Investition der Komplettrestaurierung erweist sich als in Sand gesetzt.
 

Frau Y verliebt sich ein einen schön restaurierten, hoch gebauten Phaëton, der zwar nicht billig ist, aber genau ihren Vorstellungen entspricht. Die Radkapseln zeigen die Signatur eines bekannten Wagenbauers. Schon bei der ersten Präsentation an einem Traditionsturnier äußert ein Richter Zweifel an der Authentizität des Wagens. Was ist passiert? Teile des Gestells und die Achsen stammen zwar von einem alten Fahrzeug, der Kasten aber ist ein vollständig neuer Aufbau. Nachforschungen ergeben dann, dass das Fahrzeug erst vor 10 Jahren in Frankreich gebaut wurde, zwar zunächst als Nachbau verkauft, aber dann über verschiedene Stationen zur Antiquität wurde.


Herr Z besitzt seit längerem einen hübschen, aber schlecht erhaltenen Jagdwagen und übergibt ihn einer Schreinerei zur Wiederherstellung. Dessen Leiter überredet den Kunden mit einleuchtendem Argumenten zum Anbau einer zusätzlichen, erhöhten Dienerbank. Dementsprechend werden die Federn verstärkt und die Spur der Räder verbreitert. Der damit betraute Schmied, ein Freund des Schreiners, fertigt auch andere neue Teile an und lässt sie schön verchromen. Schließlich kommt ein in der Nähe tätiger Autosattler zum Zug, der die Ausstaffierung in Kunstleder übernimmt. Erwartungsvoll spannt der Besitzer, der letztlich eine schöne Summe investiert hat, zur ersten Ausfahrt mit Fahrfreunden an. Das Echo der Anwesenden ist verhalten, niemand will sich so recht äußern. Die drei Beispiele laufen auf dasselbe Fazit hinaus: Viele Fehler geschehen gleich am Anfang einer Restaurierungsprozesses oder sogar schon beim Ankauf. Positiv gesagt: Der frühe Zuzug eines Experten kann entscheidend sein. Von
zentraler Wichtigkeit ist die genaue Analyse des historischen Fahrzeugs, aus der die entsprechenden Maßnahmen zur Wiederherstellung des Fahrzeugs abgeleitet werden können.


Analyse und Bestimmung einer alten Kutsche
Zur Analyse und Bestimmung des Objekts gehört zunächst die Abklärung der Echtheit des Ganzen und der Einzelteile. Viele alte Kutschen wurden im Laufe der Zeit verändert. Deshalb sind Messungen der Spur, der Vorspur und des Einschlags des Vordergestells wichtig; aus diesen Massen kann der Experte einiges lesen. Beim Beginn der Analyse geht es vor allem darum, das Objekt als Ganzes zu verstehen. Dazu gehören Recherchen über ähnliche Modelle der gleichen Entstehungszeit. Als Historiker gehört es zum Alltag, ein Objekt in die Dynamik der zeitlichen Veränderungen einzuordnen. Um 1850 war die Fertigung einer Kutsche ziemlich verschieden von der der Zeit um 1900. (Das sieht man etwa, wenn man die verschiedenen Ausgaben ein- und desselben Buches in den verschiedenen Auflagen verfolgt, etwa Wilhelm Rauschs „Handbuch für Wagenfabrikanten“.) Zur zeitlichen Bestimmung einer historischen Kutsche als Grundvoraussetzung des richtigen Verständnisses kommt die geographische Bestimmung. In der gleichen Zeitperiode arbeitete ein ländlicher Stellmacher anders als der spezialisierte Kastenmacher in einer städtischen Fabrik.


Liegt die erste Analyse und Bestimmung vor, kann der Kunde eigentlich erst seriös über den Ankauf einer Kutsche entscheiden. Erfüllt sie seine Bedürfnisse, passt sie zu ihm und seinen Pferden, ist der Restaurierungsaufwand bezahlbar? Eine korrekte Restaurierung kostet schnell das Zwei- oder Dreifache der Ankaufssumme. Ob die Investition im richtigen Verhältnis zum Gegenwert steht, sollte man sich möglichst früh überlegen. Gewitzte Kenner verkaufen schon mal einen hübschen Wagen, weil dieWiederherstellung teurer wird als der Neukauf eines besser erhaltenen Fahrzeugs desselben Typs.

Andres Furger
 



 

 

 

Braucht es neben guten Handwerkern auch Experten und Fachberater?
 

Nach der praktischen Erfahrung des Schreibenden sind es zwei hauptsächliche Bereiche, bei denen der Zuzug einer Fachberatung angezeigt erscheint. Der Experte sollte gewissermaßen die Rolle übernehmen können, die gegenüber einem Kunden früher der Wagenfabrikant übernahm. Er beriet den Besteller eines neuen Wagens aufgrund seiner Wünsche und seiner Ansprüche im Detail. Mit welchen Pferden wird der neue Wagen gefahren werden, wozu soll er vor allem dienen, wie viel darf er kosten usw.? Dementsprechend wurden Musterzeichnungen vorgelegt und erste Skizzen hingeworfen. So entstand ein Dialog, ein Prozess zwischen dem speziell ausgebildeten Carrossier und dem Kunden. Zweitens muss der Experte heute historisch denken können, über entsprechendes Wissen verfügen und Zugang zu einschlägigen Büchern und Informationsquellen haben. Denn jeder alte Wagen ist ein Einzelfall. „Die“ alte Kutsche, die man nach einem Schema x behandeln könnte, gibt es kaum. Die drei folgenden Beispiele zeigen, dass da und dort Gefahren lauern, die einem die Freude am Hobby und Fahrsport nehmen können:

Herr X wechselt vom Leistungssport in den Traditionssport. Er kauft sich einen alten Landauer, übergibt ihn dem Betrieb, der mit Erfolg seine Turnierwagen baute und wartete, und lässt ihn dort nach einem kurzen Gespräch für viel Geld à fond erneuern. Dann verliebt er sich in ein noch schöneres ähnliches, aber besser erhaltenes Modell und möchte deshalb den restaurierten Wagen verkaufen. Die Angebote bewegen sich in der Höhe des Ankaufspreises, die große Investition der Komplettrestaurierung erweist sich als in Sand gesetzt.
 

Frau Y verliebt sich ein einen schön restaurierten, hoch gebauten Phaëton, der zwar nicht billig ist, aber genau ihren Vorstellungen entspricht. Die Radkapseln zeigen die Signatur eines bekannten Wagenbauers. Schon bei der ersten Präsentation an einem Traditionsturnier äußert ein Richter Zweifel an der Authentizität des Wagens. Was ist passiert? Teile des Gestells und die Achsen stammen zwar von einem alten Fahrzeug, der Kasten aber ist ein vollständig neuer Aufbau. Nachforschungen ergeben dann, dass das Fahrzeug erst vor 10 Jahren in Frankreich gebaut wurde, zwar zunächst als Nachbau verkauft, aber dann über verschiedene Stationen zur Antiquität wurde.


Herr Z besitzt seit längerem einen hübschen, aber schlecht erhaltenen Jagdwagen und übergibt ihn einer Schreinerei zur Wiederherstellung. Dessen Leiter überredet den Kunden mit einleuchtendem Argumenten zum Anbau einer zusätzlichen, erhöhten Dienerbank. Dementsprechend werden die Federn verstärkt und die Spur der Räder verbreitert. Der damit betraute Schmied, ein Freund des Schreiners, fertigt auch andere neue Teile an und lässt sie schön verchromen. Schließlich kommt ein in der Nähe tätiger Autosattler zum Zug, der die Ausstaffierung in Kunstleder übernimmt. Erwartungsvoll spannt der Besitzer, der letztlich eine schöne Summe investiert hat, zur ersten Ausfahrt mit Fahrfreunden an. Das Echo der Anwesenden ist verhalten, niemand will sich so recht äußern. Die drei Beispiele laufen auf dasselbe Fazit hinaus: Viele Fehler geschehen gleich am Anfang einer Restaurierungsprozesses oder sogar schon beim Ankauf. Positiv gesagt: Der frühe Zuzug eines Experten kann entscheidend sein. Von
zentraler Wichtigkeit ist die genaue Analyse des historischen Fahrzeugs, aus der die entsprechenden Maßnahmen zur Wiederherstellung des Fahrzeugs abgeleitet werden können.


Analyse und Bestimmung einer alten Kutsche
Zur Analyse und Bestimmung des Objekts gehört zunächst die Abklärung der Echtheit des Ganzen und der Einzelteile. Viele alte Kutschen wurden im Laufe der Zeit verändert. Deshalb sind Messungen der Spur, der Vorspur und des Einschlags des Vordergestells wichtig; aus diesen Massen kann der Experte einiges lesen. Beim Beginn der Analyse geht es vor allem darum, das Objekt als Ganzes zu verstehen. Dazu gehören Recherchen über ähnliche Modelle der gleichen Entstehungszeit. Als Historiker gehört es zum Alltag, ein Objekt in die Dynamik der zeitlichen Veränderungen einzuordnen. Um 1850 war die Fertigung einer Kutsche ziemlich verschieden von der der Zeit um 1900. (Das sieht man etwa, wenn man die verschiedenen Ausgaben ein- und desselben Buches in den verschiedenen Auflagen verfolgt, etwa Wilhelm Rauschs „Handbuch für Wagenfabrikanten“.) Zur zeitlichen Bestimmung einer historischen Kutsche als Grundvoraussetzung des richtigen Verständnisses kommt die geographische Bestimmung. In der gleichen Zeitperiode arbeitete ein ländlicher Stellmacher anders als der spezialisierte Kastenmacher in einer städtischen Fabrik.


Liegt die erste Analyse und Bestimmung vor, kann der Kunde eigentlich erst seriös über den Ankauf einer Kutsche entscheiden. Erfüllt sie seine Bedürfnisse, passt sie zu ihm und seinen Pferden, ist der Restaurierungsaufwand bezahlbar? Eine korrekte Restaurierung kostet schnell das Zwei- oder Dreifache der Ankaufssumme. Ob die Investition im richtigen Verhältnis zum Gegenwert steht, sollte man sich möglichst früh überlegen. Gewitzte Kenner verkaufen schon mal einen hübschen Wagen, weil dieWiederherstellung teurer wird als der Neukauf eines besser erhaltenen Fahrzeugs desselben Typs.

Andres Furger