Expertise und Beratung - für alte Kutschen von Andres Furger Teil 3


Alte Kutschen haben ganz verschiedene „Lebensläufe“ hinter sich. Sehr gesucht sind heute so genannte Scheunenfunde, also über Jahrzehnte weggestellte Wagen im Originalzustand. Wagen ohne jüngere Veränderungen werden aber immer seltener. Häufiger sind Modelle, die immer wieder benützt und damit erneuert wurden. Da stellt sich dann die Frage, welche Veränderungen belassen oder rückgängig gemacht werden sollen. Gut ausgeführte Veränderungen aus der Zeit, als es noch traditionelle Wagenbauer gab, kann man eher respektieren als Zutaten aus der Zeit der letzten Jahrzehnte. Viele historische Kutschen wurden in der Zeit des wieder aufkommenden Fahrsports zwischen 1970 und 2000 an die neuen Bedürfnisse angepasst, etwa vollständig neu gespritzt, höher aufgesetzt oder mit Scheibenbremsen versehen.

Bei Kutschen, die rigorose Eingriffe hinter sich haben, wird die Rekonstruktion der Geschichte oft schwierig, die Kutsche hat gewissermaßen ihr „Leben“ verloren. Hier rät der Fachmann oft: „Finger weg“. Es gibt tatsächlich Fälle, bei denen man lieber auf die Übernahme eines an sich interessanten Objekts verzichten sollte. Dies sind meist Kutschen, deren Geschichte nicht mehr rekonstruierbar ist. Dazu gehört ein Landaulet mit der Signatur„Kauffmann Basel“. Das herrschaftliche Modell eines Clarence der Zeit um 1860 wurde hundert Jahre später brutal und billig in einen Hochzeitswagen umgebaut, dass heute weder der Hersteller noch das Modell verlässlich bestimmt werden können. Der Wagen hat nicht nur seine Geschichte, sondern auch seinen Preis verloren.

Ist die alte Bemalung aber unter einem neuen Anstrich noch vorhanden und die alte Polsterung nur überdeckt, können auch aus einem veränderten Objekt noch viele Erkenntnisse gezogen werden. Die minutiöse Suche nach Informationen an der Kutsche selbst bringt oft erstaunliches zutage. Dazu gehören alte Wappen unter übermalten Paneelen, Produktionsnummern auf losen Teilen, zu Pappe verarbeitete alte Zeitschriften, Visitenkarten in Fensterschächten aus der Benützungszeit, auf Federn eingeschlagene Namen von Zulieferern usw. Wichtig ist, dass alle diese Entdeckungen genau dokumentiert werden. Aufgrund der Dokumentation können zuweilen auch „Ruinen“ in einen respektablen Neuzustand zurückversetzt werden. In vielen Fällen können auch Nachforschungen aufgrund mündlicher Überlieferungen zur Klärung des Pedigrees, wie man das Vorleben auch nennt, führen. Solche fast kriminalistische Untersuchungen erklären manchmal auch besondere Veränderungen, welche eine Kutsche wertvoll machen. So hat etwa der bekannte Autobauer Ettore Bugatti seinen schweren Sportkutschen Trommelbremsen eigener Produktion einbauen lassen.

Weitere wesentliche Informationen zu alten Kutschen sind im historischen Umfeld zu finden. Ein geschichtlich versierter Fachmann greift in der Regel auf Abbildungen aus alten Fachzeitschriften zurück. Der Schreibende hat dafür eine Datenbank mit einigen tausend Modellzeichnungen angelegt. Dazu kommen alte Firmenkataloge und historische Fotos. Ein Glücksfall, der nach intensiver Suche
sogar nicht allzu selten vorkommt, ist die Auffindung einer Aufnahme der Kutsche im alten Zustand selbst oder eines ähnlichen Modells. So konnte kürzlich der Schreibende den skeptischen Käufer eines teuren Dogcarts, der sich bei näherem Zusehen als stark verändert erwies, mit der Mitteilung erfreuen, dass das Fahrzeug mit dem auf einem alten Foto abgelichteten Tandemwagen aus dem Berliner Marstall identisch ist. Kenner suchen vor einer Restaurierung auch nach Kutschen gleicher Werkstatt und gleichen Modells, die besser erhalten sind als das in Frage stehende Objekt. Aufgrund solcher Vergleiche kann dann die Wiederherstellung fehlender Teile erfolgen. Unterlässt man solche Untersuchungen, kommt es hin und wieder zu falschren Restaurierungen, übrigens auch in Museen. So wurde die abgebildete Kalesche, die man früher auch, wie historische Aufnahmen belegen,mit einem Vorderverdeck ausrüsten konnte, vor etwa 50 Jahren zu einer offenen Kalesche umgebaut.
 

Wie in der Szene der Oldtimer haben Fahrzeuge mit einer bekannten Geschichte einen höheren Wert als solche ohne Vorgeschichte. Im traditionellen Kutschensport, zu dem ja auch die Pflege der historischen Fahrzeuge explizit dazu gehört, gibt es neue Tendenzen in dieser Richtung. Dazu gehört die Mitführung eines Dossiers über die Geschichte des Fahrzeugs. Eigentümer von größeren Kollektionen von historischen Fahrzeugen wissen schon länger, dasskatalogmäßig erfasste Bestände wertvoller sind als Ansammlungen von Objekten ohne Provenienzen.


Vorgaben zur Restaurierung
Viele Fahrer stehen nach dem Erwerb einer alten Kutsche vor dem Entscheid, wie weit die Restaurierung gehen soll. Wenn jemand mit einem historischen Wagen sehr viel und auch an Turnieren fahren will, sieht die Sache anders aus, als bei einem Liebhaber, der sein Fahrzeug zwei- oder dreimal im Jahr an einer Schaufahrt einzusetzen gedenkt. Eine sanft restaurierte Kutsche mit retuschierten Fehlstellen kann nach Gebrauch nicht mit dem Schlauch abgespritzt werden, sonst platzen weitere Farbschollen ab. Wenn eine Kutsche häufig strapaziert werden soll, ist eher an eine Totalsanierung zu denken. Vorzugsweise sucht man dafür einen alten Wagen, dessen alte Fassung und Linierung noch rekonstruierbar ist, dokumentiert den Zustand und lässt ihn dann neu bemalen. Eine wichtige Arbeit des Experten ist nach dem Gespräch mit dem Eigentümer die schriftliche Formulierung der Vorgaben zuhanden der an der Restaurierung beteiligten Handwerker. Wichtig ist die Abmachung, dass alle allenfalls freigelegten Markierungen, Stempel usw. vom Handwerker gemeldet und dokumentiert werden. Die Farbgebung soll erst nach Austausch von Farbmustern festgelegt werden, wenn man böse Überraschungen verhindern will. (Oft werden zu helle Farben gewählt.) Auch muss präzis festgelegt werden, welche Teile des Wagens schwarz und welche farbig zu bemalen sind. (Hier werden auch noch immer viele Sünden begangen.) Dasselbe gilt für exakte Vorlagen der Linierungen mittels Skizzen und Fotos. Ein besonders Problem sind die Vorgaben für die Sattlerarbeiten. Hier geht es meist nicht ohne direkte Dialoge zwischen dem Experten und dem ausführenden Handwerker. Es sollten nur Materialien verwendet werden, die mittels Muster vorher festgelegt worden sind. Oft muss der Experte selbst die Rohmaterialien bei der ihm bekannten Adressen beschaffen und dem Handwerker zukommen lassen. Denn es gibt in Europa nur noch wenig Produzenten, die akzeptable Stoffe liefern können. - Auch alle anderen Details wie Versilberung oder Vernickelung der Beschläge sind genau festzulegen. Zuletzt folgen weitere Abklärungen wie die Suche nach geeigneten Laternen und anderen Accessoires.

 

Andres Furger
 




 



Alte Kutschen haben ganz verschiedene „Lebensläufe“ hinter sich. Sehr gesucht sind heute so genannte Scheunenfunde, also über Jahrzehnte weggestellte Wagen im Originalzustand. Wagen ohne jüngere Veränderungen werden aber immer seltener. Häufiger sind Modelle, die immer wieder benützt und damit erneuert wurden. Da stellt sich dann die Frage, welche Veränderungen belassen oder rückgängig gemacht werden sollen. Gut ausgeführte Veränderungen aus der Zeit, als es noch traditionelle Wagenbauer gab, kann man eher respektieren als Zutaten aus der Zeit der letzten Jahrzehnte. Viele historische Kutschen wurden in der Zeit des wieder aufkommenden Fahrsports zwischen 1970 und 2000 an die neuen Bedürfnisse angepasst, etwa vollständig neu gespritzt, höher aufgesetzt oder mit Scheibenbremsen versehen.

Bei Kutschen, die rigorose Eingriffe hinter sich haben, wird die Rekonstruktion der Geschichte oft schwierig, die Kutsche hat gewissermaßen ihr „Leben“ verloren. Hier rät der Fachmann oft: „Finger weg“. Es gibt tatsächlich Fälle, bei denen man lieber auf die Übernahme eines an sich interessanten Objekts verzichten sollte. Dies sind meist Kutschen, deren Geschichte nicht mehr rekonstruierbar ist. Dazu gehört ein Landaulet mit der Signatur„Kauffmann Basel“. Das herrschaftliche Modell eines Clarence der Zeit um 1860 wurde hundert Jahre später brutal und billig in einen Hochzeitswagen umgebaut, dass heute weder der Hersteller noch das Modell verlässlich bestimmt werden können. Der Wagen hat nicht nur seine Geschichte, sondern auch seinen Preis verloren.

Ist die alte Bemalung aber unter einem neuen Anstrich noch vorhanden und die alte Polsterung nur überdeckt, können auch aus einem veränderten Objekt noch viele Erkenntnisse gezogen werden. Die minutiöse Suche nach Informationen an der Kutsche selbst bringt oft erstaunliches zutage. Dazu gehören alte Wappen unter übermalten Paneelen, Produktionsnummern auf losen Teilen, zu Pappe verarbeitete alte Zeitschriften, Visitenkarten in Fensterschächten aus der Benützungszeit, auf Federn eingeschlagene Namen von Zulieferern usw. Wichtig ist, dass alle diese Entdeckungen genau dokumentiert werden. Aufgrund der Dokumentation können zuweilen auch „Ruinen“ in einen respektablen Neuzustand zurückversetzt werden. In vielen Fällen können auch Nachforschungen aufgrund mündlicher Überlieferungen zur Klärung des Pedigrees, wie man das Vorleben auch nennt, führen. Solche fast kriminalistische Untersuchungen erklären manchmal auch besondere Veränderungen, welche eine Kutsche wertvoll machen. So hat etwa der bekannte Autobauer Ettore Bugatti seinen schweren Sportkutschen Trommelbremsen eigener Produktion einbauen lassen.

Weitere wesentliche Informationen zu alten Kutschen sind im historischen Umfeld zu finden. Ein geschichtlich versierter Fachmann greift in der Regel auf Abbildungen aus alten Fachzeitschriften zurück. Der Schreibende hat dafür eine Datenbank mit einigen tausend Modellzeichnungen angelegt. Dazu kommen alte Firmenkataloge und historische Fotos. Ein Glücksfall, der nach intensiver Suche
sogar nicht allzu selten vorkommt, ist die Auffindung einer Aufnahme der Kutsche im alten Zustand selbst oder eines ähnlichen Modells. So konnte kürzlich der Schreibende den skeptischen Käufer eines teuren Dogcarts, der sich bei näherem Zusehen als stark verändert erwies, mit der Mitteilung erfreuen, dass das Fahrzeug mit dem auf einem alten Foto abgelichteten Tandemwagen aus dem Berliner Marstall identisch ist. Kenner suchen vor einer Restaurierung auch nach Kutschen gleicher Werkstatt und gleichen Modells, die besser erhalten sind als das in Frage stehende Objekt. Aufgrund solcher Vergleiche kann dann die Wiederherstellung fehlender Teile erfolgen. Unterlässt man solche Untersuchungen, kommt es hin und wieder zu falschren Restaurierungen, übrigens auch in Museen. So wurde die abgebildete Kalesche, die man früher auch, wie historische Aufnahmen belegen,mit einem Vorderverdeck ausrüsten konnte, vor etwa 50 Jahren zu einer offenen Kalesche umgebaut.
 

Wie in der Szene der Oldtimer haben Fahrzeuge mit einer bekannten Geschichte einen höheren Wert als solche ohne Vorgeschichte. Im traditionellen Kutschensport, zu dem ja auch die Pflege der historischen Fahrzeuge explizit dazu gehört, gibt es neue Tendenzen in dieser Richtung. Dazu gehört die Mitführung eines Dossiers über die Geschichte des Fahrzeugs. Eigentümer von größeren Kollektionen von historischen Fahrzeugen wissen schon länger, dasskatalogmäßig erfasste Bestände wertvoller sind als Ansammlungen von Objekten ohne Provenienzen.


Vorgaben zur Restaurierung
Viele Fahrer stehen nach dem Erwerb einer alten Kutsche vor dem Entscheid, wie weit die Restaurierung gehen soll. Wenn jemand mit einem historischen Wagen sehr viel und auch an Turnieren fahren will, sieht die Sache anders aus, als bei einem Liebhaber, der sein Fahrzeug zwei- oder dreimal im Jahr an einer Schaufahrt einzusetzen gedenkt. Eine sanft restaurierte Kutsche mit retuschierten Fehlstellen kann nach Gebrauch nicht mit dem Schlauch abgespritzt werden, sonst platzen weitere Farbschollen ab. Wenn eine Kutsche häufig strapaziert werden soll, ist eher an eine Totalsanierung zu denken. Vorzugsweise sucht man dafür einen alten Wagen, dessen alte Fassung und Linierung noch rekonstruierbar ist, dokumentiert den Zustand und lässt ihn dann neu bemalen. Eine wichtige Arbeit des Experten ist nach dem Gespräch mit dem Eigentümer die schriftliche Formulierung der Vorgaben zuhanden der an der Restaurierung beteiligten Handwerker. Wichtig ist die Abmachung, dass alle allenfalls freigelegten Markierungen, Stempel usw. vom Handwerker gemeldet und dokumentiert werden. Die Farbgebung soll erst nach Austausch von Farbmustern festgelegt werden, wenn man böse Überraschungen verhindern will. (Oft werden zu helle Farben gewählt.) Auch muss präzis festgelegt werden, welche Teile des Wagens schwarz und welche farbig zu bemalen sind. (Hier werden auch noch immer viele Sünden begangen.) Dasselbe gilt für exakte Vorlagen der Linierungen mittels Skizzen und Fotos. Ein besonders Problem sind die Vorgaben für die Sattlerarbeiten. Hier geht es meist nicht ohne direkte Dialoge zwischen dem Experten und dem ausführenden Handwerker. Es sollten nur Materialien verwendet werden, die mittels Muster vorher festgelegt worden sind. Oft muss der Experte selbst die Rohmaterialien bei der ihm bekannten Adressen beschaffen und dem Handwerker zukommen lassen. Denn es gibt in Europa nur noch wenig Produzenten, die akzeptable Stoffe liefern können. - Auch alle anderen Details wie Versilberung oder Vernickelung der Beschläge sind genau festzulegen. Zuletzt folgen weitere Abklärungen wie die Suche nach geeigneten Laternen und anderen Accessoires.

 

Andres Furger