Expertise und Beratung - für alte Kutschen von Andres Furger Teil 4


Nachdem die Restaurierungsmaßnahmen festgelegt sind, geht es auf die Suche nach den dafür geeigneten Handwerkern. Wer macht die beste Restaurierung?


(Das oft gehörte Wort Restauration ist hier übrigens fehl am Platz; es geht hier nicht um Restaurants und Mahlzeiten.) Die Antwort hängt davon ab, ob eine Totalrestaurierung oder eine schonende Konservierung nötig ist. In jedem Fall ist zu empfehlen, dass Experte und Kunde zusammen Wagen besichtigen, die von diesem oder jenem Atelier wiederhergestellt wurden. Informationen können auch erfahrenen Sammlern über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Betrieben eingeholt werden. Heute gibt es bekanntlich in Polen gewisse Betriebe, die gute Arbeit im Bereich Holz und Metall liefern und ganze Kutschen von A bis Z auf einem erstaunlichen Niveau neu zu bauen imstande sind. Bei allen Fortschritten der letzten Jahre sollte man auch hier bei Restaurierungsaufträgen seine Leitlinien und Vorgaben genau formulieren. Ein wohl formulierter Auftrag bis zum Finish nach westeuropäischen Standards schafft für beide Seiten Klarheit, auch auf der Kostenseite. Zuweilen schätzen es allerdings gewisse Betriebe nicht sehr, wenn der Kunde mit einem Experten auftaucht. Dann wird nämlich die auszuführende Arbeit oft komplizierter. Es ist einfacher, wenn ein Kunde beim Kundenbetreuer einen Wagen einliefert und dieser ihn dann ohne genaue Angaben dem Betriebsleiter weitergeben kann. Die Sache nimmt dann ihren gewohnten Lauf: Der Wagen wird zerlegt, die alte Fassung durch Hilfskräfte bis auf den Grund abgeschabt oder abgelaugt, die Ausstaffierung rausgerissen und entsorgt. Zuletzt wird in der Malerei gespritzt und schließlich über Schaumgummi Kunstleder gespannt und dieses mit Ziernähten nach eigenem Gusto versehen. – Kommt hingegen ein Fahrzeug mit einem begleitenden Dossier, Texten, und Fotos sowie Zeichnungen als Vorlagen in die Werkstatt, muss bei jedem Schritt kontrolliert werden, ob die Vorgaben eingehalten werden und unvorhergesehene Probleme führen zu Rückfragen. Zum Schluss wird der Kunde oder dessen Vertreter noch pingelig, fordert Vertrags-bedingungen ein, reklamiert da einen nicht zugespachtelten Schraubenschlitz und dort eine nicht sauber überfeilte Schweißnaht. Die Auslieferung verzögert sich, aber auch der Eingang des schriftlich vereinbarten Betrags.


Bei Restaurierungen auf einem sehr anspruchsvollen Niveau und bei Konservierungen muss in der Regel mehr als ein Betrieb als Auftragnehmer ins Auge gefasst werden, denn es gibt kaum Ateliers, die in allen Bereichen (Holzund Schmiedearbeit, Bemalung sowie Ausstaffierung usw.) auf dem gleichen Niveau arbeiten.Weniger ist manchmal mehr


In den Museen geht heute die generelle Restaurierungs-Philosophie in Richtung „minimal intervention“, also der schonenden Eingriffe. Dieser Tendenz folgen heute auch viele gute Kutschensammler. Sie könnten sich die Haare ausreißen, wenn sie daran denken, was man früher an Bemalungen entfernen und an Interieurs zerstören liess. In vielen Fällen sind nämlich alte Fassungen und Innenausstattungen durch konservierende Maßnahmen und gezielte Reparaturen noch zu retten. Auch stumpf gewordene Lacke können heute recht gut wieder ansehnlich gemacht und Farbschäden so ausgebessert werden, wie dies auch ein Gemälderestaurator macht. Auf diese Weise kann man in den meisten Fällen auch die alte Linierung bewahren. Denn nach einer Neulackierung stellt sich mit der korrekten Linierung ein eigenes Problem. Der Schreibende kennt in Europa nur wenige Betriebe oder Fachleute, die schmale Linien auf dem Qualitätsniveau von früher ziehen können. Meistens sieht man „Regenwürmer“. So benannten die alten Wagenmaler die mal dünner und dicker werdenden Linien, bei denen der langhaarige Schlepperpinsel nicht mit gleichmäßigem Auflagedruck und zu wenig zügig gezogen wurde. Der an sich befriedigende Neuanstrich kann durch eine stümperhafte Linierung richtiggehend versaut werden! Was macht man da,wenn man keinen Spezialisten zur Hand hat? Lieber lässt man die dünnen Linien weg und wartet mal ab. Oder man geht halt Kompromisse ein und lässt die Filets mit Hilfe eines Rädchens auftragen; die breiten Bänder werden heute meist durch Abkleben mit Klebeband aufgemalt.Welche Teile und Flächen sind überhaupt mit Linien und Bändern zu verzieren? Diese Frage ist heikel, dementsprechend sieht man viele Fehler. Dazu gehört etwa das Anbringen von Linien auf Unterkästen und ähnliches. Auch kann der Maler mit den Linien nicht einfach den Leisten des Kastens folgen, denn die Linierung soll die schönen Linien des Wagens unterstützen. Auch hier gilt: Weniger ist im Zweifelsfall mehr. Nach dem altenglischem Stil, auf den sich die besten deutschen Wagenbauer um 1900 vor allem beriefen, galt das einfache als chic („the plainer the better“). Das hatten schon früher nicht alle begriffen. Besonders Prostituierte und Zuhälter passten ihre Kutschen gerne ihrem Kleidungsstil an und ließen ihre Kutschen mit viel glänzendem Tamtam sowie textilem Firlefanz ausstatten. Diese schwierige Geschichte wiederholt sich heute wieder, allerdings nicht mehr nur in der Halbwelt. Roter Plüsch und golddurchwirkte Borten haben auch heute an der Kutsche eines Gentleman oder einer Sportlady nichts verloren, auch viele verchromte Teile und vergoldete Beschläge nicht. Betriebe, die einem Kunden heute so etwas offerieren, diskreditieren sich selbst. Auch sollte man der Versuchung widerstehen, hübsche ländliche Fahrzeuge auf einem (zu hohen) Niveau zu restaurieren. Pseudo-Veredelungen können rustikalen Fahrzeugen ihren sympathischen Charme nehmen.

Wichtig ist der Prozess


Fehler darf jeder machen, aber sie nicht stets wiederholen. Das gilt für die Handwerker ebenso wie für die Eigentümer und Käufer alter Kutschen. Fast jeder Sammler, ob in der Kunst oder im Kutschenbereich, beginnt mit ersten Ankäufen und steigert sich dann. Dazu gehört, dass immer besser eingekauft und auch schonender restauriert wird. Es ist eine schöne Erfahrung, in einem
neuen Fachbereich Schritt um Schritt Fuß zu fassen. Dabei können Fachleute behilflich sein, die solche Wege schon hinter sich haben oder durch ihre Ausbildung in ähnlichen Domänen entsprechendes Fachwissen mitbringen. Niemand weiß alles, aber man kann sich entwickeln. Zum Schluss: Man kann sich in ein altes Stück verlieben, aber man darf dann nichts überstürzen. Der Weg von einem vom Zahn der Zeit gezeichneten Wagen bis zum nach eigenen Wünschen ausgestatteten Präsentationsfahrzeug ist ein Prozess. Dafür soll man sich Zeit nehmen. Weil eben die zu Anfang beschriebene alte Ausgangssituation so viel anders ist als heute, kann man nicht auf die schnelle Art zum Kenner werden. Man repariert und wartet ja heute auch sein Auto nicht mehr selbst. Kutschen waren zwar früher technisch einfacher als Autos gebaut, aber in Bezug auf die Materialien, die Qualität und den Stil sehr ausgeklügelt gefertigt. Über Stil und Geschmack kann man bekanntlich streiten. Wenn man sich einem traditionellen Sport verschrieben hat, darf man sich durchaus auch bei der Behandlung der Wagen am Traditionellen orientieren und sich der alten Eleganz und Qualität anzunähern bemühen.
 

Andres Furger
 



Nachdem die Restaurierungsmaßnahmen festgelegt sind, geht es auf die Suche nach den dafür geeigneten Handwerkern. Wer macht die beste Restaurierung?


(Das oft gehörte Wort Restauration ist hier übrigens fehl am Platz; es geht hier nicht um Restaurants und Mahlzeiten.) Die Antwort hängt davon ab, ob eine Totalrestaurierung oder eine schonende Konservierung nötig ist. In jedem Fall ist zu empfehlen, dass Experte und Kunde zusammen Wagen besichtigen, die von diesem oder jenem Atelier wiederhergestellt wurden. Informationen können auch erfahrenen Sammlern über ihre Erfahrungen mit verschiedenen Betrieben eingeholt werden. Heute gibt es bekanntlich in Polen gewisse Betriebe, die gute Arbeit im Bereich Holz und Metall liefern und ganze Kutschen von A bis Z auf einem erstaunlichen Niveau neu zu bauen imstande sind. Bei allen Fortschritten der letzten Jahre sollte man auch hier bei Restaurierungsaufträgen seine Leitlinien und Vorgaben genau formulieren. Ein wohl formulierter Auftrag bis zum Finish nach westeuropäischen Standards schafft für beide Seiten Klarheit, auch auf der Kostenseite. Zuweilen schätzen es allerdings gewisse Betriebe nicht sehr, wenn der Kunde mit einem Experten auftaucht. Dann wird nämlich die auszuführende Arbeit oft komplizierter. Es ist einfacher, wenn ein Kunde beim Kundenbetreuer einen Wagen einliefert und dieser ihn dann ohne genaue Angaben dem Betriebsleiter weitergeben kann. Die Sache nimmt dann ihren gewohnten Lauf: Der Wagen wird zerlegt, die alte Fassung durch Hilfskräfte bis auf den Grund abgeschabt oder abgelaugt, die Ausstaffierung rausgerissen und entsorgt. Zuletzt wird in der Malerei gespritzt und schließlich über Schaumgummi Kunstleder gespannt und dieses mit Ziernähten nach eigenem Gusto versehen. – Kommt hingegen ein Fahrzeug mit einem begleitenden Dossier, Texten, und Fotos sowie Zeichnungen als Vorlagen in die Werkstatt, muss bei jedem Schritt kontrolliert werden, ob die Vorgaben eingehalten werden und unvorhergesehene Probleme führen zu Rückfragen. Zum Schluss wird der Kunde oder dessen Vertreter noch pingelig, fordert Vertrags-bedingungen ein, reklamiert da einen nicht zugespachtelten Schraubenschlitz und dort eine nicht sauber überfeilte Schweißnaht. Die Auslieferung verzögert sich, aber auch der Eingang des schriftlich vereinbarten Betrags.


Bei Restaurierungen auf einem sehr anspruchsvollen Niveau und bei Konservierungen muss in der Regel mehr als ein Betrieb als Auftragnehmer ins Auge gefasst werden, denn es gibt kaum Ateliers, die in allen Bereichen (Holzund Schmiedearbeit, Bemalung sowie Ausstaffierung usw.) auf dem gleichen Niveau arbeiten.Weniger ist manchmal mehr


In den Museen geht heute die generelle Restaurierungs-Philosophie in Richtung „minimal intervention“, also der schonenden Eingriffe. Dieser Tendenz folgen heute auch viele gute Kutschensammler. Sie könnten sich die Haare ausreißen, wenn sie daran denken, was man früher an Bemalungen entfernen und an Interieurs zerstören liess. In vielen Fällen sind nämlich alte Fassungen und Innenausstattungen durch konservierende Maßnahmen und gezielte Reparaturen noch zu retten. Auch stumpf gewordene Lacke können heute recht gut wieder ansehnlich gemacht und Farbschäden so ausgebessert werden, wie dies auch ein Gemälderestaurator macht. Auf diese Weise kann man in den meisten Fällen auch die alte Linierung bewahren. Denn nach einer Neulackierung stellt sich mit der korrekten Linierung ein eigenes Problem. Der Schreibende kennt in Europa nur wenige Betriebe oder Fachleute, die schmale Linien auf dem Qualitätsniveau von früher ziehen können. Meistens sieht man „Regenwürmer“. So benannten die alten Wagenmaler die mal dünner und dicker werdenden Linien, bei denen der langhaarige Schlepperpinsel nicht mit gleichmäßigem Auflagedruck und zu wenig zügig gezogen wurde. Der an sich befriedigende Neuanstrich kann durch eine stümperhafte Linierung richtiggehend versaut werden! Was macht man da,wenn man keinen Spezialisten zur Hand hat? Lieber lässt man die dünnen Linien weg und wartet mal ab. Oder man geht halt Kompromisse ein und lässt die Filets mit Hilfe eines Rädchens auftragen; die breiten Bänder werden heute meist durch Abkleben mit Klebeband aufgemalt.Welche Teile und Flächen sind überhaupt mit Linien und Bändern zu verzieren? Diese Frage ist heikel, dementsprechend sieht man viele Fehler. Dazu gehört etwa das Anbringen von Linien auf Unterkästen und ähnliches. Auch kann der Maler mit den Linien nicht einfach den Leisten des Kastens folgen, denn die Linierung soll die schönen Linien des Wagens unterstützen. Auch hier gilt: Weniger ist im Zweifelsfall mehr. Nach dem altenglischem Stil, auf den sich die besten deutschen Wagenbauer um 1900 vor allem beriefen, galt das einfache als chic („the plainer the better“). Das hatten schon früher nicht alle begriffen. Besonders Prostituierte und Zuhälter passten ihre Kutschen gerne ihrem Kleidungsstil an und ließen ihre Kutschen mit viel glänzendem Tamtam sowie textilem Firlefanz ausstatten. Diese schwierige Geschichte wiederholt sich heute wieder, allerdings nicht mehr nur in der Halbwelt. Roter Plüsch und golddurchwirkte Borten haben auch heute an der Kutsche eines Gentleman oder einer Sportlady nichts verloren, auch viele verchromte Teile und vergoldete Beschläge nicht. Betriebe, die einem Kunden heute so etwas offerieren, diskreditieren sich selbst. Auch sollte man der Versuchung widerstehen, hübsche ländliche Fahrzeuge auf einem (zu hohen) Niveau zu restaurieren. Pseudo-Veredelungen können rustikalen Fahrzeugen ihren sympathischen Charme nehmen.

Wichtig ist der Prozess


Fehler darf jeder machen, aber sie nicht stets wiederholen. Das gilt für die Handwerker ebenso wie für die Eigentümer und Käufer alter Kutschen. Fast jeder Sammler, ob in der Kunst oder im Kutschenbereich, beginnt mit ersten Ankäufen und steigert sich dann. Dazu gehört, dass immer besser eingekauft und auch schonender restauriert wird. Es ist eine schöne Erfahrung, in einem
neuen Fachbereich Schritt um Schritt Fuß zu fassen. Dabei können Fachleute behilflich sein, die solche Wege schon hinter sich haben oder durch ihre Ausbildung in ähnlichen Domänen entsprechendes Fachwissen mitbringen. Niemand weiß alles, aber man kann sich entwickeln. Zum Schluss: Man kann sich in ein altes Stück verlieben, aber man darf dann nichts überstürzen. Der Weg von einem vom Zahn der Zeit gezeichneten Wagen bis zum nach eigenen Wünschen ausgestatteten Präsentationsfahrzeug ist ein Prozess. Dafür soll man sich Zeit nehmen. Weil eben die zu Anfang beschriebene alte Ausgangssituation so viel anders ist als heute, kann man nicht auf die schnelle Art zum Kenner werden. Man repariert und wartet ja heute auch sein Auto nicht mehr selbst. Kutschen waren zwar früher technisch einfacher als Autos gebaut, aber in Bezug auf die Materialien, die Qualität und den Stil sehr ausgeklügelt gefertigt. Über Stil und Geschmack kann man bekanntlich streiten. Wenn man sich einem traditionellen Sport verschrieben hat, darf man sich durchaus auch bei der Behandlung der Wagen am Traditionellen orientieren und sich der alten Eleganz und Qualität anzunähern bemühen.
 

Andres Furger