Plauderei über Kummete, Brustblätter und anderes


 

Von Julius Erb, Kgl. Hofsattler des Kaisers und Königs sowie der Kaiserin und Königin

 

 

 

 

 

 

in den nächsten Monaten werden wir eine Reihe von Artikeln von J.Erb veröffentlichen ,die einige interessante Aspekte zu Fahrgeschirren behandeln. 

 

Vor einigen Tagen sah ich in einer Straße Berlins ein Pferd, dessen Hals vom Kummet dermaßen gedrückt und wund gescheuert war, dass ich mir sagte, hier musst du mal mit dem Kutscher sprechen. Der Mann war im allgemeinen zugänglich und nicht von der Art, wie ich sie leider schon öfter getroffen habe, wenn ich sie im Interesse der armen Pferde auf gewisse Mängel ihrer Anspannung aufmerksam machen wollte. Manchmal wurden die Herren dermaßen grob, dass ich es vorzog, schleunigst zu verschwinden, zumal von allen Seiten gewisse Elemente auftauchten, die natürlich dem Kutscher beistanden.



 

Vor Jahren hatte ich auf der Straße auch mal mit einem alten Fräulein, das angab, dem Tierschutzverein anzugehören, eine kleine Auseinandersetzung über Scheuleder. Bekanntlich geht schon seit Dezennien der Streit darüber. Aber die Gegner sind fast immer Leutchen, die wohl nie hinter Wagenpferden gesessen haben, aber behaupten, dass die Scheuleder deshalb schon verwerflich sind, weil die Augen des Pferdes seitlich sitzen und das Pferd durch die Scheuleder genötigt ist, stets nach vorne zu sehen und deshalb die Augen so anstrengen muss, dass es auf die Dauer augenleidend werden müsse. Ich sagte ihr zuerst, mein liebes Fräulein, ich bin Sattler, meine Vorfahren waren auch Sattler, ich kann mich schmeicheln, eine große Kundschaft zu haben, aber noch nie ist mir ein Pferd vorgekommen, das durch die Scheuleder augenkrank, oder wie Sie behaupten, sogar blind geworden sei. Ich persönlich halte sogar die Scheuleder für einen großen Schutz der Pferdeaugen, wenn hinter den Pferden ein grober Kutscher sitzt, wie wir sie leider öfters antreffen, die irgendeine Schuld ihrerseits immer den Pferden zumessen und ihnen die Peitsche um die Ohren knallen. Begleiten Sie mich bitte in mein nicht weit von hier liegendes Geschäft und ich will Ihnen ausgetrennte Scheuleder zeigen, wovon Sie am Lackleder die Quittungen von den Peitschenhieben ablesen können. Das alte Fräulein ging mit und war erstaunt, wie viele Peitschenhiebe auf so manchem Scheuleder saßen. Wie jeder Kollege weiß, bekommt das Lackleder bei geringer Kälte schon Sprünge, und solch ein Peitschenhieb gleicht, wie soll ich gleich sagen, na dem Gerippe eines Fisches. Sehen Sie mein Fräulein, sagte ich, alle diese Hiebe hat das von ihnen so bekämpfte Scheuleder aufgefangen. Hiebe, die sicher das Auge des Pferdes getroffen hätten. Damit Sie nur nicht denken, dass das von etwas anderem als von der Peitsche herrühren kann, sehen Sie hier das Gegenstück an, das auf der inneren Seite gesessen hat und worauf Sie kaum einen Hieb feststellen können.

Wenn einer mit offenen Augen durch die Straßen geht, und mal auf die Pferdeaugen achten will, so wird er finden, dass unter den Arbeits- und Droschkenpferden erheblich mehr Augenkranke anzutreffen sind, als unter den Pferden mit Scheuledern.

Nun setzte ich dem alten Fräulein noch auseinander, weshalb die Scheuleder überhaupt angebracht werden, unter anderem sagte ich ihr: Fahren Sie mal zwei Pferde nebeneinander. Die Pferde sind im Temperament selten gleich. Man hat, wie mein Vater zu sagen pflegte, immer einen Küster und einen Pastor. Das eine Pferd ist fauler oder phlegmatischer als das andere und muss hin und wieder mit der Peitsche berührt, aber nicht gleich geschlagen werden. Das zweite Pferd hat Temperament und ist aufgeregter. Nehmen Sie nun die Peitsche hoch, um das faulere Pferd etwas anzutreiben, schon springt das temperamentvolle an. Angenehm ist dieses plötzliche Anspringen und Anrucken des Wagens für die Insassen des Wagens gerade nicht. Und sehen Sie, mein Fräulein, hier hilft das Scheuleder. Das fleißige Pferd kann das Aufheben der Peitsche nicht sehen und bleibt deshalb ruhig.

 

Wenn ich heute das alte Fräulein sehen würde, so könnte ich ihr noch ein eigenes Erlebnis erzählen. Als vor einigen Jahre die Kartoffeln noch so knapp waren, wollte mir ein bekannter Gutsbesitzer, natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, einige Zentner überlassen, aber ich müsste sie mir selbst vor Tau und Tag abholen. Zu diesem Zweck lieh ich mir von einem Freunde einen leichten Federwagen, bespannt mit zwei ausrangierten Potsdamer Militärpferden. Der Besitzer sagte mir, das eine Luder drückt sich immer. Sie müssen ihm mal einen überziehen. Na, sagte ich, das sind ja nicht die ersten Pferde, die ich in die Hand bekomme. Ich werde schon damit fertig werden. Also den nächsten Morgen fahre ich um 5:30 Uhr vom Hofe und habe zu meiner Gesellschaft nur meinen alten Jagdhund mitgenommen. Nach Hundeart stellte er sich mit seinen Vorderläufen vorne auf das Fußbrett des Bockes. Als ich nach einer Weile sah, dass das Sattelpferd keinen Strang zog, nahm ich die Peitsche hoch, um ihm einen überzuziehen. In demselben Augenblicke sprang das Handpferd dermaßen an, dass durch den Ruck der arme Hund hoch im Bogen zwischen die Pferde flog und ihm auch noch ein Hinterrad über den Körper ging. Da hast du ja was angerichtet, sagte ich mir, hielt still, sah mich um und sehe meinen Hund ganz vertattert dastehen, als schien er nicht so recht zu wissen, was mit ihm passiert war. Ich rief ihn an, und er kam wie ein Betrunkener zum Wagen hingeschwankt. Ich sprach ihm gut zu, wollte gerade absteigen, um ihn auf den Wagen zu heben, aber da sprang er selbst mit elegantem Sprung auf den Bock. Keiner war froher als ich. Es hätte auch anders kommen können und der wertvolle Hund wäre zum Teufel gewesen. Hätten die Pferde Scheuleder an den Zäumen gehabt, so wäre das sicher nicht passiert.

 

Doch nun zurück zu dem durchgescheuerten Pferde. Also das Kummet passte dem Tiere absolut nicht, war viel zu lang, hatte überhaupt keine Lage, die Eisen waren liederlich und schief herumgeschnallt, kurz, man brauchte sich nicht zu wundern, dass der Hals so kaputt war. Es ist gewiss, dass hier der Sattler keine Schuld hat. Er mag das Geschirr vor langen Jahren gut geliefert haben, aber in wie viele Hände war das Kummet schon geraten, auf wie vielen Hälsen hatte es schon gelegen? Es wird einfach aufgelegt, ob es es passt ist ganz gleich, das arme Tier muss darin arbeiten.

 

Vor Jahren waren wir hier im Flachland mehr oder weniger Anhänger leichter Geschirre mit leichten Kummeten. Da gab es mehr gedrückte Pferdehälse als heute. Gewiss waren die Kummete schön und elegant und mit der allergrößten Sorgfalt aufgebaut, aber die Pferde fanden so keine rechte Lage darin. Bei den Marstallschimmeln habe ich es ja selbst durchgemacht. Zuerst waren sie wie die Original-Wiener-Kummete sehr leicht. Als sich die Anzüge der Kummeteisen zu sehr anlegten und dadurch die Stutzen scheuerten, ließ ich die Kummete unter den Anzügen etwas stärker machen. Mein Onkel hatte sich einmal ausgedacht, dass es sehr gut und schön sein müsste, wenn die Leibleder auch aus Lackleder wären. Unser alter Hermann Luczynski brachte die so schwere, wie es anfänglich schien, unmögliche Arbeit fertig. Das Lackleder  hatte er glatt in die Kummete gebracht und die Kummete sahen herrlich aus. Sie waren auch leicht zu reinigen, aber sie brannten, und war das Lackleder einmal gebrochen, so rasierten die Bruchstellen die Haare einfach ab. Diese Art Kummete habe ich bald ausgemerzt und nie wieder verwendet. Ich machte die Kummete für die Schimmel schwerer, namentlich unter den Anzügen und ließ sie außerdem mit einer guten Lage Rosshaar über den Filz belegen. Dadurch wurden sie schön weich und drückten und scheuerten nicht, allerdings mit der schon früher beschriebenen russischen Aufhaltevorrrichtung

 

Im Jahre 1894 war es wohl, dass ich Hermann Luczynski die ersten schweren Kummete nach englischer Art bestellte. Ich sehe heute noch den alten lieben Herrn vor mir stehen, wie er ganz aufgeregt und mit den Armen fuchtelnd ausrief, wo willst du hin, du gehst ja ganz andere Wege als dein Onkel, mache das nicht, ich rate dir gut, du ruinierst dein Geschäft. Ich antwortete, lieber Herrmann, das lass meine Sorge sein. Mache du mir die Kummete so schwer und so weich, wie  ich sie dir aufzeichne und du wirst sehen, dass ich damit auf dem rechten Wege bin.

Wie oft standen die Kollegen vor meinem Stand auf der Berliner Gewerbeausstellung und schüttelten die Köpfe über die schweren Kummete. Und wer behielt Recht? Heute sieht man kaum noch ein leichtes Kummet, wohl jeder hat sich von den Vorteilen des schweren überzeugt.

Und worin bestehen nun diese Vorteile? Hier will ich versuchen, sie jedem Interessenten klar zu machen. Dazu mögen die Abbildungen 1 und 2 dienen.

 

 

 

 

 

 

Die Kummete ließ ich in Stärke von 2 ¾, 3 und sogar bis 3 ¼ Zoll fertigen. Gemessen wurde an der dicksten Stelle bei A, also von der Lage des Kummeteisens bis hintere Seite. Die Form des Kummets habe ich ziemlich gerade gehalten. Eine ganz gerade Form sieht immer aus, als ob das Kummet nach vorn überbaut wäre. Kamen die Kummete für Turniergeschirre in Betracht, so habe ich sie etwas mehr zurückgebogen. Da dadurch die Hälse länger erscheinen. Habe auch welche gemacht, die mehr als zulässig nach hinten gebogen waren. Bei den kurzen Fahrten auf den Turnieren war ja keine Gefahr, dass sie oben am Widerrist drückten. Es kam eben nur darauf an, recht lange Hälse vorzutäuschen. Diese Kummete mussten sich quasi in das Schulterblatt herumlegen.

Von hinten gesehen muss das Kummet eine breite flache Lage haben und an der Stelle B der Zeichnung 2 etwas enger gepolstert sein, da die Pferdehälse auf dieser Stelle bekanntlich mehr oder weniger einfallen. Ob das Kummet nun unten spitz oder rund ist, ist mehr Geschmackssache. Persönlich ziehe ich ein Kummet mit etwas Platz für die Luftröhre vor. Beim Verpassen habe ich immer darauf gesehen, dass ich vier Finger der Hand bequem zwischen Kummet und Hals stecken konnte. Dann habe ich das ganze Kummet mit beiden Händen links und rechts zugleich abgefühlt, ob es auch überall gleichmäßig anliegt. Das Pferd habe ich mir stets so zurechtstellen lassen, wie es sich am Wagen, was Kopfstellung anbetrifft, zeigt. Man glaubt nicht, wie verschieden die Muskeln des Halses in der Ruhe und beim aufgezäumten Pferd sind. Passt man das Kummet dem Pferde an, wenn es den Hals nicht gebogen resp. wenn es sich nicht beigezäumt hat, so ist es sicher in der Gegend der Leinenschlüssel zu eng, wenn das Pferd vor dem Wagen geht. Lag das Kummet an einer Stelle zu fest an, so wurde der Bügel dort weiter gerichtet. Es wird leider zu wenig darauf gesehen, dass der Bügel richtig gebogen ist. Man darf nicht vergessen, dass das Kummet eigentlich nur das Polster des Bügels ist. Das Kummet kann noch so gut liegen, ist aber der Bügel zu weit, wird es, wenn der Bügel umgeschnallt wird, auch weiter oder umgekehrt, ist er zu eng, so preßt er das Kummet zusammen, und dieses wird dadurch zu eng. Es paßt also nicht mehr.

Nun kommt es ja vor, dass Pferde sehr starke Schulterblätter haben. Hier ist es allerdings schwieriger, ein richtig liegendes Kummet anzufertigen. Aber so schlimm ist die Sache auch nicht. Man denke sich den Leib aus einer weichen Masse, nehme ein großes Messer und schneide, wie bei C auf Zeichnung Nr. 3 eingezeichnet , die Lagen heraus.

 

 

 

 

 

 

 

Wird die Polsterung nach dieser Skizze entfernt , so liegt das Kummet auch über dem dicksten Schulterblatt. Die Entfernung des Polsters darf aber nur von hinten und etwas von innen geschehen. Von vorne und von der Seite gesehen, darf man dem Kummet keine Veränderung ansehen.

An manchen Pferden hat man oft oben auf dem Kamm schlecht heilende Wunden, hauptsächlich bei solchen mit geschorener Mähne. Ist das Pferd nämlich in gutem Futterzustande, so hat es oft tiefere Falten im Kamm und die so kurz abgeschnittenen Mähnenhaare stechen wie die härtesten Borsten und machen die Pferde in den Falten wund. Um nun die Stellen ausheilen zu können, habe ich den Kummeten oben rechts und links kleine Polster gemacht, wie aus der Zeichnung Nr. 4 zu ersehen ist. Dadurch trägt das Kummet oben rechts und links und lässt die Mitte vom Druck frei. Ist der Hals wieder heil, kann man die Polster wieder heraus nehmen.

 

 

 

 

Es kommt auch vor, dass ein Pferd unter der Kummetlage einen Pickel bekommt. Er kann von einem Insektenstich herrühren oder eine andere Ursache haben und sich zu einem größeren Geschwür ausbilden. Hier haben Polster wie bei Bild Nr. 5 eingezeichnet gute Dienste getan. Ich nahm eine Lage dünnes Kernleder, schnitt die zwei Filzpolster zurecht, die natürlich nach oben und unten in nichts ausliefen, heftete das Unterleder in das Kummet ein, klebte die Filzpolster auf und bezog sie dann mit dünnem weichen Leder. Nach dem Trocknen nahm ich die Polster heraus, nähte sie mit der größten Vorsicht, damit die Biegung nicht verloren, rundherum ab, nähte drei Gürtel an, und die besten Druckpolster waren fertig.

Die starken, namentlich unter den Anzügen gut gepolsterten Kummete haben den Vorteil, die Anzüge davon abzuhalten, sich zu sehr herumzulegen, so dass die Stutzen zu fest auf die Schultern zu liegen zu kommen und hier die Pferde scheuern.

 

Vor Jahren wurde ich mal von einem auswärtigen Marstallamt eingeladen, die vorhandenen Geschirre auf Brauchbarkeit, wohl mehr auf ihren Stil zu begutachten.

Gott, sagte ich mir, als ich die Geschirre sah, wie ist das nur möglich! Nicht allein, dass die Anzüge der Kummeteisen viel zu lang waren, sie waren auch dermaßen nach außen gerichtet, dass sie fast im rechten Winkel abstanden. Damit sich die Kummetbügel nun nicht nach hinten legen konnten und die Kummete damit außer Form brachten, waren sie mit außergewöhnlich starken Scharnieren versehen. Die ganze Geschichte sah entsetzlich aus. Ich habe mich um die Beantwortung der Fragen nun etwas herumgedrückt, da ich verhüten wollte, dass die betreffenden Lieferanten durch mein Gutachten Schaden litten. Das war nicht klug von mir, denn es wurden bald danach Mustergeschirre besorgt, aber von anderer Stelle. Ich war der Dumme.

 

Textbearbeitung : H.Huber ,H.B.Paggen

Quelle : Deutsche Sattler Zeitung 1929 Sammlung Verfasser