Bugatti als Kutschenbauer ? Andres Furger


Ettore Bugatti (1881 bis 1947) war bekanntlich einer der genialsten Ingenieure und Designer von Automobilen. Entwarf er und ließ er auch Kutschen bauen? Ja! Aber dahinter steht nicht dieselbe Geschichte wie die Vielen, die zuerst als Wagenbauer tätig waren und um 1900 auf Automobile Karosserien umstiegen.


 

Ettore Bugatti mit seinem Sohn Roland um 1930 auf seinem Pony-Phaëton.

Der aus einer Künstlerfamilie in Mailand stammende Ettore Bugatti wurde bereits in jungen Jahren im Automobilbereich tätig. Aufgrund von Auslandaufenthalten in Paris zusammen mit seinen Eltern sprach er französisch und arbeitete dann selbst bald im französischsprachigen Ausland. Seine erste Station war von 1901 bis 1903 beim Autokonstrukteur Baron de Dietrich im damals zu Deutschland gehörigen elsässischen Niederbronn bei Strassburg, gefolgt in den Jahren 1904 bis 1907 von Strassburg bei Emil Mathis. 1908/09 arbeitete er auch für Deutz in Köln Mülheim. 1910 begründete er seinen eigenen Betrieb in Molsheim bei Strassburg, wieder im Elsass. 1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, verließ er seine Fabrik und weilte meistens in Paris, bis er nach Kriegsende wieder nach Molsheim zurückkehren und dort weiter arbeiten konnte. Bis die Fabrik im Zweiten Weltkrieg okkupiert wurde, war die Marke Bugatti Legende geworden. Zwischen 1910 und 1940 sind in Molsheim 7'800 Autos gebaut worden.

Bugatti Royale mit Shetland­-Pony vor den Stallungen in Molsheim um 1930.

Der raffinierte Techniker und begnadete Designer Bugatti war ein großer Pferdeliebhaber. Bei seiner Villa in Molsheim ließ er den alten Stall ausbauen und hielt dort ständig Reit und Fahrpferde für sich selbst sowie Ponys für seine zwei Töchter und zwei Söhne. Er züchtete auch Vollblutpferde. Seine ersten sportlichen Autos nannte er „pur sang“, also Vollblut. In der Zwischenkriegszeit legte Bugatti eine schöne Sammlung sportlicher Kutschen von berühmten französischen Wagenbauern an, darunter etwa einen Mail-­Phaëton von Mühlbacher in Paris (heute in Deutschland) und einige Wagen von Million, Guiet & Cie.

Das Multitalent Bugatti wäre nicht Bugatti gewesen, wenn er sein Können nicht auch im Bereich hippomobiler Wagen eingesetzt hätte. So gibt es Skizzen seiner Hand von Kutschen und Einzelteilen davon. Mindestens vier erhaltene Kutschen sind bekannt, die auf den Nabenkapseln seinen Namen tragen. Es sind dies ein Omnibus, ein Gig und die zwei hier beschriebenen Fahrzeuge. Diese konnte der Schreibende dank der Gastfreundschaft der heutigen Besitzer, Mary Stockes Waller und Harvey Waller, im Januar 2010 nach der Jahresversammlung der Carriage Association of America in Stockbridge, Massachusetts USA besichtigen. Ältere Fotos der Bugatti-Coach und des Poney-Phaëton sind schon länger bekannt; die besonderen Wagen können hier aber erstmals detailliert vorgestellt werden, nachdem sie mit Hilfe von Steve Holm genauer untersucht wurden.

Abenteuerliche Wege

Beide gelb bemalten Fahrzeuge haben einen abenteuerlichen Weg hinter sich. Sie kamen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Wagensammlung (und wohl auch mit den Pferden) Ettore Bugattis vom Elsass ins Departement Oise auf Schloss Ermenonville (ex Familie Radziwll), das Bugatti 1938 erworben hatte und wo seine jüngere Tochter Lidia mit ihrem Ehemann, Graf François de Boigne, später wohnte. Dort verblieben die Kutschen längere Zeit mit mehreren Automobilen, darunter den bekannten Limousinen vom Typ Royale. Letztere gelangten später durch die Brüder Schlumpf ins heute berühmte Automobil-Museum von Mülhausen. Ein
gutes Dutzend Kutschen jedoch, darunter die Coach und der kleine Phaëton, kamen mit den zugehörigen Geschirren zu Baron Jean Casier nach Belgien, der sie auch fuhr. Dieser verkaufte vor etwa dreißig Jahren seine wertvolle Sammlung dem Amerikaner John Werner Kluge und dessen Frau. (Dieselben soll Baron Casier für den Ankauf seiner gesamten Sammlung einen unterschriebenen Check mit leerem Feld für die Ankaufssumme vorgelegt haben, auf den Baron Casier dann den doppelten Schätzpreis seiner Sammlung setzte.) In Virginia, auf Albemarle House entstand für kurze Zeit ein großartiges Kutschenmuseum, das aber nach der Scheidung der amerikanischen Besitzer wieder aufgelöst wurde. Im Jahre 2000 schließlich konnte der heutige Eigentümer, Past Präsident der „Carriage Association of America“, die zwei Wagen und zwei Viererzuggeschirre gleicher Provenienz erwerben und in seinem Museum auf der Orleton-Farm aufstellen, dem alten Sommersitz der Familie Procter.
 

 Die Coach von Harvey Waller und Mary Stockes Waller bei einer Ausfahrt im Jahre 2008 in Lennox MS.

Der Phaëton und sein Geschirr

Der Pony-Siamesen-Phaëton im Originalzustand.

Die hübsche Photographie von Abbildung 2 zeigt Ettore Bugatti um 1930 mit seinem Sohn Roland auf dem Pony-Wagen. Er wird deshalb Siamesen- Phaëton genannt, weil er zwei gleiche Bänke hintereinander aufweist. Diese sind als Sommerwagen mit Bänken mit gedrechselten Stäben versehen. Vorne zeigen die Sitze die elegante Form der so genannten Stanhope-Säule (mit der siebenzackigen Krone Baron Casiers darauf). Der Wagen ist ausgewogen proportioniert und weist alte Gummireifen auf (alte Laternen ergänzt). Die Naben tragen auf den Abdeckblechen der Patentachsen den gegossenen Schriftzug „BUGATTI“. Auf dem Foto fährt der „Patron“ die Shetland-Ponys zweispännig, zum Fahrzeug gehören bis heute auch eine Dreispännervorrichtung und eine Vorwaage für vierspänniges Fahren.
Der 117 cm (46 inches) hohe und 203 cm (80 inches) lange Wagen wurde ohne Zweifel von Bugatti gezeichnet, sonst hätte er kaum seinen Namen auf die Abdeckung der Radkapseln gesetzt. Wurde der Phaëton aber auch in Molsheim gebaut? Diese Frage ist heute nicht mehr sicher zu beantworten. Die Achsen und Radkapseln der Patentachsen tragen die Signatur des bekannten Zulieferers „LEMOINE PARIS“ sowie die Nummer 151083. Als Produktionsort wichtiger Teil kommt auch die Carrosserie Widerkehr im nahen Colmar in Frage, die für Ettore Bugatti vieler seiner schönsten Automobile karossierte und ein alt eingesessener Wagenbauer gewesen war (später unter dem Namen Gangloff geführt). Es gibt gewisse Teile, die in ihrer Machart an Widerkehr-Wagen erinnern, wie sie in der Sammlung Heinz Scheidel in Mannheim stehen. Als Entstehungszeit des Wagens kommt am ehesten die Spanne zwischen 1910, als seine Töchter ins Kindesalter kamen, und 1930 in Frage.


 

Das zum Siamesen-Phaëton gehörige Viererzuggeschirr.

Das zugehörige Viererzuggeschirr aus braunem Leder weist, wie der Wagen, Messingbeschläge auf und ist sportlich schlicht geschnitten. Die Stirnbänder sind mit gelbem Leder eingefasst. Die Scheuleder und Spieler der Sprungriemen tragen die Initialen des Meisters „EB“, der übrigens seine älteste, 1907 geborene Tochter danach benannte („L’Ebé“). In der Sammlung Waller hängt auch eine hübsche zugehörige Peitsche mit dem Monogramm „EB“ unter einer Krone

Monogramm „EB“ für Ettore Bugatti auf einem Spieler des Sprungriemens des Coach-­Geschirrs.

Die Coach

Die Bugatti-Coach der Sammlung Waller in Stockbridge Massachusetts USA.

Die „Bugatti-Coach“ ist in der Welt einzigartig, zeigt sie doch eine Kastenform, wie sie bei Coachen nicht üblich war. (Allerdings gibt es Pariser Entwürfe der Zeit um 1900 für ähnliche Projekte.) Der bauchig gewölbte Coupé-Kasten ist der im frühen 19. Jahrhundert beliebten Form der noblen Coupés mit kleinen Fenstern nachempfunden. Genau diese „forme fiacre“ hat der große Meister Bugatti auch vielen seiner eleganten Automobilen verpasst und sie wie hier durch eine hellere Farbgebung zum dominierenden Stilelement gemacht. Bugatti bevorzugte übrigens für seine eigenen Fahrzeuge die Farben Gelb und Schwarz. Der heute überfasste Wagen befindet sich in sehr gutem Zustand. An den Coupékasten ist vorne und hinten, wie bei Mail-Coachen üblich, je eine Box angebaut. Das Frontpaneel besteht aus einer aufgeschraubten Metallplatte, hinten ist der Stauraum durch eine seitlich öffnende Türe zugänglich.
 

Diese Konstruktionsart kennt man von der Bauweise der Road-­Coachen. Genau so ist auch das Gestell gebaut, nämlich solid mit Plattformfederungen und Langbaum. Die Masse stimmen mit Road-Coachen der Grösse „full-­size“ überein. Zur Bauweise als robuster Reisewagen passt auch die Überlieferung, Bugatti habe diesen Wagen konstruiert, um damit über die Alpen in seine Heimatstadt Mailand zu fahren. Dementsprechend ist auf dem Dach hinter der ablegbaren Sitzbank eine hübsch gestaltete, niedrige Dachgalerie angebracht, an der Koffer angeschnallt werden konnten.

Die Naben tragen den Schriftzug „E. BUGATTI“ (vgl. Abb. 1), die Laternen aber die Gravierung „MILLION. GUIET & Cie. PARIS“, ebenso übrigens wie die Collinge-Achsen. Hinter diesen unterschiedlichen Signaturen steht eine komplizierte und nicht ganz auflösbare Geschichte. Baron Casier, der mit den Töchtern Bugattis persönlich bekannt gewesen war, sagte dem Schreibenden kurz vor seinem Tod, dass der Kasten in Molsheim, der Unterwagen mit den Gestellen aber bei Guiet in Paris (dem besten Erbauer von Coachen in Frankreich) entstanden seien. Deshalb sei auch das Öffnen der seitlichen Türen nur beschränkt möglich. Tatsächlich zeigte die Autopsie, dass bei geringem Einschlag des Vorderwagens auf einer Seite die Kastentüre nicht geöffnet werden kann. Wer hat nun an diesem Wagen was gefertigt? Sicher scheint, dass Bugatti denselben selbst gezeichnet, die Coach indessen selber nie ganz fertig gestellt hat; offenbar war der Zweite Weltkrieg dazwischen gekommen. Bugatti eilte es offenbar auch nicht, besaß er doch für den Eigengebrauch längst eine Private Road-­Coach von Million & Guiet, ebenfalls ausgerüstet mit einer Fußbremse aus den eigenen Automobilbeständen (heute in Portugal). Diese wurde aber nicht so elegant in die Hinterachsen und Naben eingebaut, wie bei der Coupé-­Coach. Dazu kam eine zweite in Paris gebaute Coach (heute bei Gloria Austin in Florida

Die Coach von Gloria Austin

zurück zur Coupé-Coach:Die aus Guss gefertigten, halbkugeligen Abdeckungen der Achsnaben mit dem Bugatti-­Schriftzug zeigen ein Design, das an die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnert. Darunter sind verkürzte Bronzekapseln von Patentachsen und ganz besondere Nabenkonstruktionen verborgen. Es sind dies, wie Abbildung 9 rechts zeigt, auf der Drehbank gefertigte Bronzeflanschen, die mit dem inneren Teil der Nabe kranzartig verschraubt sind. Hinten sind auf den Innenseiten grosse Trommelbremsen integriert. Nach Aussage von Spezialisten, stammen diese eindeutig vom Bugatti-­Modell Typ 44 oder 46, gehören also in die Zeit zwischen 1927 und 1931. Damals erst dürfte das Fahrzeug realisiert worden sein. Neben dem ausgeklügelten Fußbremspedal mit Seil-und Kettenzug weist der Wagen übrigens auch eine übliche Hebelbremse auf.

Die Coach mit ausgefahrener Damentreppe und Detail der Nabenkonstruktion unter der Abdeckung

.

Vier Details der Coach: Besondere Federhände, aufklappbarer Aufstiegstritt, Wappen auf den Fensterpaneels und das Innere der Coach.

Auch andere Teile des Wagens zeigen die besondere Handschrift Bugattis. So sind etwa die oberen Federhände an den Plattformfedern so eigenartig und gleichzeitig elegant geformt, wie man dies an keiner anderen Coach sieht. Eine besondere Lösung wurde für die seitlichen Aufstiegstritte gefunden. Sie mussten wegen des Einschlags der Vorderräder schmal angelegt werden, können aber mittels der abklappbaren Deckel auf das doppelte Mass verbreitert werden. Am Wagen finden sich auch raffiniert konstruierte Einzelteile, die bei Zulieferern bezogen wurden. Dazu gehörrt die linksseitige Auszugsleiter der Pariser Firma A. Burel.
Der mündlichen Überlieferung nach ließ erst Baron Casier den Innenausschlag aus grünem Leder und die Polsterung der Bänke aus dunkelgrünem Tuch anfertigen. (Die Machart dieser Arbeit bestätigt dies.) Unter den Fenstern ist heute ein Wappen mit der Devise „Deus Fortitudo mea“ (Der Herr ist mein Schicksal) und zwei ineinander verschlungenen „C“ unter einer Krone angebracht.

Das Coach-Gechirr

 


 

Das Coach-Geschirr aus braunem Leder mit hellen Kumtleibern und Elfenbeineinlagen.

Kopfstück des Coach-Geschirrs und Detail eines Leinenrings mit Elfenbeineinlage.

Ebenso speziell wie der Wagen ist das in der Waller-Sammlung erhaltene Geschirr, ein braunes Fünferzuggeschirr mit versilberten Beschlägen und den Initialen „EB“. Die Kumtleiber dieses Coach-Geschirrs sind mit elfenbeinfarbenem Wildleder überzogen, die Leinenringe umfassen Einlagen aus echtem Elfenbein! Die Metallteile sind hier so gediegen gefertigt, dass jeweils eine Schraube ausgedreht und die Einlagen zum Putzen entfernt werden können. Das exklusive Geschirr macht ebenfalls den Eindruck, dass Ettore Bugatti die Teile bis ins Detail, wie er es auch bei seinen Autos tat, gezeichnet hat. Als ausführende Sattlerei gilt der Überlieferung nach die Sattlereiwerkstatt in Molsheim oder Hermès in Paris. Tatsächlich tragen zugehörige Unterlegtrensen die Signatur dieses noblen Pariser Hauses, bei dem Bugatti nachweislich seine Sättel bezogen hat und die hinten aufgeschnallten Reisekoffer der Royales anfertigen liess. Die Kopfgestelle zeigen wie das ganze, robust gefertigte Geschirr eine gekonnte Arbeit. Die Zügel der Aufzäumung laufen hier durch rund genähte Schlaufen.

Die beiden besprochenen Wagen sind mit den Geschirren einzigartige Zeugen des begnadeten Designers und Automobilkonstrukteurs Ettore Bugatti, welche noch in der Zwischenkriegszeit die Kultur des Drivings und Coachings aktiv pflegte.

Der Phaëton und die Coach im Vergleich vor der Museumsscheune in Stockbridge Massachusetts USA.
(Lit. Hugh Conway with Maurice Sazay, Bugatti Magnum, Sparkford 1989)
 

Andres Furger



Ettore Bugatti (1881 bis 1947) war bekanntlich einer der genialsten Ingenieure und Designer von Automobilen. Entwarf er und ließ er auch Kutschen bauen? Ja! Aber dahinter steht nicht dieselbe Geschichte wie die Vielen, die zuerst als Wagenbauer tätig waren und um 1900 auf Automobile Karosserien umstiegen.


 

Ettore Bugatti mit seinem Sohn Roland um 1930 auf seinem Pony-Phaëton.

Der aus einer Künstlerfamilie in Mailand stammende Ettore Bugatti wurde bereits in jungen Jahren im Automobilbereich tätig. Aufgrund von Auslandaufenthalten in Paris zusammen mit seinen Eltern sprach er französisch und arbeitete dann selbst bald im französischsprachigen Ausland. Seine erste Station war von 1901 bis 1903 beim Autokonstrukteur Baron de Dietrich im damals zu Deutschland gehörigen elsässischen Niederbronn bei Strassburg, gefolgt in den Jahren 1904 bis 1907 von Strassburg bei Emil Mathis. 1908/09 arbeitete er auch für Deutz in Köln Mülheim. 1910 begründete er seinen eigenen Betrieb in Molsheim bei Strassburg, wieder im Elsass. 1914, zu Beginn des Ersten Weltkrieges, verließ er seine Fabrik und weilte meistens in Paris, bis er nach Kriegsende wieder nach Molsheim zurückkehren und dort weiter arbeiten konnte. Bis die Fabrik im Zweiten Weltkrieg okkupiert wurde, war die Marke Bugatti Legende geworden. Zwischen 1910 und 1940 sind in Molsheim 7'800 Autos gebaut worden.

Bugatti Royale mit Shetland­-Pony vor den Stallungen in Molsheim um 1930.

Der raffinierte Techniker und begnadete Designer Bugatti war ein großer Pferdeliebhaber. Bei seiner Villa in Molsheim ließ er den alten Stall ausbauen und hielt dort ständig Reit und Fahrpferde für sich selbst sowie Ponys für seine zwei Töchter und zwei Söhne. Er züchtete auch Vollblutpferde. Seine ersten sportlichen Autos nannte er „pur sang“, also Vollblut. In der Zwischenkriegszeit legte Bugatti eine schöne Sammlung sportlicher Kutschen von berühmten französischen Wagenbauern an, darunter etwa einen Mail-­Phaëton von Mühlbacher in Paris (heute in Deutschland) und einige Wagen von Million, Guiet & Cie.

Das Multitalent Bugatti wäre nicht Bugatti gewesen, wenn er sein Können nicht auch im Bereich hippomobiler Wagen eingesetzt hätte. So gibt es Skizzen seiner Hand von Kutschen und Einzelteilen davon. Mindestens vier erhaltene Kutschen sind bekannt, die auf den Nabenkapseln seinen Namen tragen. Es sind dies ein Omnibus, ein Gig und die zwei hier beschriebenen Fahrzeuge. Diese konnte der Schreibende dank der Gastfreundschaft der heutigen Besitzer, Mary Stockes Waller und Harvey Waller, im Januar 2010 nach der Jahresversammlung der Carriage Association of America in Stockbridge, Massachusetts USA besichtigen. Ältere Fotos der Bugatti-Coach und des Poney-Phaëton sind schon länger bekannt; die besonderen Wagen können hier aber erstmals detailliert vorgestellt werden, nachdem sie mit Hilfe von Steve Holm genauer untersucht wurden.

Abenteuerliche Wege

Beide gelb bemalten Fahrzeuge haben einen abenteuerlichen Weg hinter sich. Sie kamen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg mit der Wagensammlung (und wohl auch mit den Pferden) Ettore Bugattis vom Elsass ins Departement Oise auf Schloss Ermenonville (ex Familie Radziwll), das Bugatti 1938 erworben hatte und wo seine jüngere Tochter Lidia mit ihrem Ehemann, Graf François de Boigne, später wohnte. Dort verblieben die Kutschen längere Zeit mit mehreren Automobilen, darunter den bekannten Limousinen vom Typ Royale. Letztere gelangten später durch die Brüder Schlumpf ins heute berühmte Automobil-Museum von Mülhausen. Ein
gutes Dutzend Kutschen jedoch, darunter die Coach und der kleine Phaëton, kamen mit den zugehörigen Geschirren zu Baron Jean Casier nach Belgien, der sie auch fuhr. Dieser verkaufte vor etwa dreißig Jahren seine wertvolle Sammlung dem Amerikaner John Werner Kluge und dessen Frau. (Dieselben soll Baron Casier für den Ankauf seiner gesamten Sammlung einen unterschriebenen Check mit leerem Feld für die Ankaufssumme vorgelegt haben, auf den Baron Casier dann den doppelten Schätzpreis seiner Sammlung setzte.) In Virginia, auf Albemarle House entstand für kurze Zeit ein großartiges Kutschenmuseum, das aber nach der Scheidung der amerikanischen Besitzer wieder aufgelöst wurde. Im Jahre 2000 schließlich konnte der heutige Eigentümer, Past Präsident der „Carriage Association of America“, die zwei Wagen und zwei Viererzuggeschirre gleicher Provenienz erwerben und in seinem Museum auf der Orleton-Farm aufstellen, dem alten Sommersitz der Familie Procter.
 

 Die Coach von Harvey Waller und Mary Stockes Waller bei einer Ausfahrt im Jahre 2008 in Lennox MS.

Der Phaëton und sein Geschirr

Der Pony-Siamesen-Phaëton im Originalzustand.

Die hübsche Photographie von Abbildung 2 zeigt Ettore Bugatti um 1930 mit seinem Sohn Roland auf dem Pony-Wagen. Er wird deshalb Siamesen- Phaëton genannt, weil er zwei gleiche Bänke hintereinander aufweist. Diese sind als Sommerwagen mit Bänken mit gedrechselten Stäben versehen. Vorne zeigen die Sitze die elegante Form der so genannten Stanhope-Säule (mit der siebenzackigen Krone Baron Casiers darauf). Der Wagen ist ausgewogen proportioniert und weist alte Gummireifen auf (alte Laternen ergänzt). Die Naben tragen auf den Abdeckblechen der Patentachsen den gegossenen Schriftzug „BUGATTI“. Auf dem Foto fährt der „Patron“ die Shetland-Ponys zweispännig, zum Fahrzeug gehören bis heute auch eine Dreispännervorrichtung und eine Vorwaage für vierspänniges Fahren.
Der 117 cm (46 inches) hohe und 203 cm (80 inches) lange Wagen wurde ohne Zweifel von Bugatti gezeichnet, sonst hätte er kaum seinen Namen auf die Abdeckung der Radkapseln gesetzt. Wurde der Phaëton aber auch in Molsheim gebaut? Diese Frage ist heute nicht mehr sicher zu beantworten. Die Achsen und Radkapseln der Patentachsen tragen die Signatur des bekannten Zulieferers „LEMOINE PARIS“ sowie die Nummer 151083. Als Produktionsort wichtiger Teil kommt auch die Carrosserie Widerkehr im nahen Colmar in Frage, die für Ettore Bugatti vieler seiner schönsten Automobile karossierte und ein alt eingesessener Wagenbauer gewesen war (später unter dem Namen Gangloff geführt). Es gibt gewisse Teile, die in ihrer Machart an Widerkehr-Wagen erinnern, wie sie in der Sammlung Heinz Scheidel in Mannheim stehen. Als Entstehungszeit des Wagens kommt am ehesten die Spanne zwischen 1910, als seine Töchter ins Kindesalter kamen, und 1930 in Frage.


 

Das zum Siamesen-Phaëton gehörige Viererzuggeschirr.

Das zugehörige Viererzuggeschirr aus braunem Leder weist, wie der Wagen, Messingbeschläge auf und ist sportlich schlicht geschnitten. Die Stirnbänder sind mit gelbem Leder eingefasst. Die Scheuleder und Spieler der Sprungriemen tragen die Initialen des Meisters „EB“, der übrigens seine älteste, 1907 geborene Tochter danach benannte („L’Ebé“). In der Sammlung Waller hängt auch eine hübsche zugehörige Peitsche mit dem Monogramm „EB“ unter einer Krone

Monogramm „EB“ für Ettore Bugatti auf einem Spieler des Sprungriemens des Coach-­Geschirrs.

Die Coach

Die Bugatti-Coach der Sammlung Waller in Stockbridge Massachusetts USA.

Die „Bugatti-Coach“ ist in der Welt einzigartig, zeigt sie doch eine Kastenform, wie sie bei Coachen nicht üblich war. (Allerdings gibt es Pariser Entwürfe der Zeit um 1900 für ähnliche Projekte.) Der bauchig gewölbte Coupé-Kasten ist der im frühen 19. Jahrhundert beliebten Form der noblen Coupés mit kleinen Fenstern nachempfunden. Genau diese „forme fiacre“ hat der große Meister Bugatti auch vielen seiner eleganten Automobilen verpasst und sie wie hier durch eine hellere Farbgebung zum dominierenden Stilelement gemacht. Bugatti bevorzugte übrigens für seine eigenen Fahrzeuge die Farben Gelb und Schwarz. Der heute überfasste Wagen befindet sich in sehr gutem Zustand. An den Coupékasten ist vorne und hinten, wie bei Mail-Coachen üblich, je eine Box angebaut. Das Frontpaneel besteht aus einer aufgeschraubten Metallplatte, hinten ist der Stauraum durch eine seitlich öffnende Türe zugänglich.
 

Diese Konstruktionsart kennt man von der Bauweise der Road-­Coachen. Genau so ist auch das Gestell gebaut, nämlich solid mit Plattformfederungen und Langbaum. Die Masse stimmen mit Road-Coachen der Grösse „full-­size“ überein. Zur Bauweise als robuster Reisewagen passt auch die Überlieferung, Bugatti habe diesen Wagen konstruiert, um damit über die Alpen in seine Heimatstadt Mailand zu fahren. Dementsprechend ist auf dem Dach hinter der ablegbaren Sitzbank eine hübsch gestaltete, niedrige Dachgalerie angebracht, an der Koffer angeschnallt werden konnten.

Die Naben tragen den Schriftzug „E. BUGATTI“ (vgl. Abb. 1), die Laternen aber die Gravierung „MILLION. GUIET & Cie. PARIS“, ebenso übrigens wie die Collinge-Achsen. Hinter diesen unterschiedlichen Signaturen steht eine komplizierte und nicht ganz auflösbare Geschichte. Baron Casier, der mit den Töchtern Bugattis persönlich bekannt gewesen war, sagte dem Schreibenden kurz vor seinem Tod, dass der Kasten in Molsheim, der Unterwagen mit den Gestellen aber bei Guiet in Paris (dem besten Erbauer von Coachen in Frankreich) entstanden seien. Deshalb sei auch das Öffnen der seitlichen Türen nur beschränkt möglich. Tatsächlich zeigte die Autopsie, dass bei geringem Einschlag des Vorderwagens auf einer Seite die Kastentüre nicht geöffnet werden kann. Wer hat nun an diesem Wagen was gefertigt? Sicher scheint, dass Bugatti denselben selbst gezeichnet, die Coach indessen selber nie ganz fertig gestellt hat; offenbar war der Zweite Weltkrieg dazwischen gekommen. Bugatti eilte es offenbar auch nicht, besaß er doch für den Eigengebrauch längst eine Private Road-­Coach von Million & Guiet, ebenfalls ausgerüstet mit einer Fußbremse aus den eigenen Automobilbeständen (heute in Portugal). Diese wurde aber nicht so elegant in die Hinterachsen und Naben eingebaut, wie bei der Coupé-­Coach. Dazu kam eine zweite in Paris gebaute Coach (heute bei Gloria Austin in Florida

Die Coach von Gloria Austin

zurück zur Coupé-Coach:Die aus Guss gefertigten, halbkugeligen Abdeckungen der Achsnaben mit dem Bugatti-­Schriftzug zeigen ein Design, das an die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts erinnert. Darunter sind verkürzte Bronzekapseln von Patentachsen und ganz besondere Nabenkonstruktionen verborgen. Es sind dies, wie Abbildung 9 rechts zeigt, auf der Drehbank gefertigte Bronzeflanschen, die mit dem inneren Teil der Nabe kranzartig verschraubt sind. Hinten sind auf den Innenseiten grosse Trommelbremsen integriert. Nach Aussage von Spezialisten, stammen diese eindeutig vom Bugatti-­Modell Typ 44 oder 46, gehören also in die Zeit zwischen 1927 und 1931. Damals erst dürfte das Fahrzeug realisiert worden sein. Neben dem ausgeklügelten Fußbremspedal mit Seil-und Kettenzug weist der Wagen übrigens auch eine übliche Hebelbremse auf.

Die Coach mit ausgefahrener Damentreppe und Detail der Nabenkonstruktion unter der Abdeckung

.

Vier Details der Coach: Besondere Federhände, aufklappbarer Aufstiegstritt, Wappen auf den Fensterpaneels und das Innere der Coach.

Auch andere Teile des Wagens zeigen die besondere Handschrift Bugattis. So sind etwa die oberen Federhände an den Plattformfedern so eigenartig und gleichzeitig elegant geformt, wie man dies an keiner anderen Coach sieht. Eine besondere Lösung wurde für die seitlichen Aufstiegstritte gefunden. Sie mussten wegen des Einschlags der Vorderräder schmal angelegt werden, können aber mittels der abklappbaren Deckel auf das doppelte Mass verbreitert werden. Am Wagen finden sich auch raffiniert konstruierte Einzelteile, die bei Zulieferern bezogen wurden. Dazu gehörrt die linksseitige Auszugsleiter der Pariser Firma A. Burel.
Der mündlichen Überlieferung nach ließ erst Baron Casier den Innenausschlag aus grünem Leder und die Polsterung der Bänke aus dunkelgrünem Tuch anfertigen. (Die Machart dieser Arbeit bestätigt dies.) Unter den Fenstern ist heute ein Wappen mit der Devise „Deus Fortitudo mea“ (Der Herr ist mein Schicksal) und zwei ineinander verschlungenen „C“ unter einer Krone angebracht.

Das Coach-Gechirr

 


 

Das Coach-Geschirr aus braunem Leder mit hellen Kumtleibern und Elfenbeineinlagen.

Kopfstück des Coach-Geschirrs und Detail eines Leinenrings mit Elfenbeineinlage.

Ebenso speziell wie der Wagen ist das in der Waller-Sammlung erhaltene Geschirr, ein braunes Fünferzuggeschirr mit versilberten Beschlägen und den Initialen „EB“. Die Kumtleiber dieses Coach-Geschirrs sind mit elfenbeinfarbenem Wildleder überzogen, die Leinenringe umfassen Einlagen aus echtem Elfenbein! Die Metallteile sind hier so gediegen gefertigt, dass jeweils eine Schraube ausgedreht und die Einlagen zum Putzen entfernt werden können. Das exklusive Geschirr macht ebenfalls den Eindruck, dass Ettore Bugatti die Teile bis ins Detail, wie er es auch bei seinen Autos tat, gezeichnet hat. Als ausführende Sattlerei gilt der Überlieferung nach die Sattlereiwerkstatt in Molsheim oder Hermès in Paris. Tatsächlich tragen zugehörige Unterlegtrensen die Signatur dieses noblen Pariser Hauses, bei dem Bugatti nachweislich seine Sättel bezogen hat und die hinten aufgeschnallten Reisekoffer der Royales anfertigen liess. Die Kopfgestelle zeigen wie das ganze, robust gefertigte Geschirr eine gekonnte Arbeit. Die Zügel der Aufzäumung laufen hier durch rund genähte Schlaufen.

Die beiden besprochenen Wagen sind mit den Geschirren einzigartige Zeugen des begnadeten Designers und Automobilkonstrukteurs Ettore Bugatti, welche noch in der Zwischenkriegszeit die Kultur des Drivings und Coachings aktiv pflegte.

Der Phaëton und die Coach im Vergleich vor der Museumsscheune in Stockbridge Massachusetts USA.
(Lit. Hugh Conway with Maurice Sazay, Bugatti Magnum, Sparkford 1989)
 

Andres Furger