Vom Marstall des Deutschen Kaisers 1911


Eine Beschreibung der Pferde und Wagen des kaiserlichen Marstalles in Berlin von Richard Schoenbeck aus dem Jahre 1911 ,
der die Entwicklung des Fahrstalles seit 
dem Wirken Bennos von Achenbachs ab 1906 zeigt.

Er wird hier in Original-Fassung wiedergegeben.

 

 

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Wir wenden uns nun zu dem fahrenden Material des Marstalles.

hier ist die Aufmerksamkeit auf so viele Punkte zu lenken, dass es ausgeschlossen ist, diese mit einem flüchtigen Blicke umfassen zu können, und nur dem Fachmann kann die eingehende, ja minutiöse Arbeit klar werden, die hier geschaffen wurde, und die wohl ausschließlich der vollendeten Gesamtkenntnis des
Herrn B. v.A c h e n b a c h auf diesem Gebiete zu verdanken ist. Was wir gesehen haben, dürfte sich wie in den beigefügten Abbildungen, als eine Stichprobe der so verschiedenen Anspannungsarten des Kgl. Marstalles darstellen, die die Art und das Wesen derselben hinreichend charakterisiert. — Um zunächst mit dem Pferdematerial zu beginnen, so bildet den historischen Grundstock der Trakehner. dieses hochvornehme, edle, spezifisch preußische Zuchtprodukt, das im Wagen immer ein höchst ansprechendes Bild in Figur und Haltung bietet, und sich daher auch hauptsächlich — besonders die Hengste — für Galaanspannungen eignet. Allerdings ist der Trakehner nicht besonders schnell, auch seine Aktion lässt zu wünschen übrig,
die nur ausnahmsweise ganz befriedigt. Große Karossiers mit Steppergängen, und sehr schnelle Pferde werden daher durch Ankauf remontiert. Wir finden demgemäß die Produkte der besten Zuchtgebiete dieses Genres vertreten, je nach dem Zweck ihres Gebrauchs — englische, ungarische, und unter den Inländern besonders hannoversche, auch Holsteiner Pferde vertreten, vielleicht auch — der Nachweis kann ja bei den Ankaufspferden vielfach nicht geführt werden, tritt hier auch bei sonstiger Geeignetheit mehr in den Hintergrund — Ostfriesen und Oldenburger. die ja im Wagen bei ihrer Größe und stattlichem Aufsatz immer eine gute Figur machen. Um junge Remonten in Haltung zu setzen, werden sie, bevor sie in den Wagen kommen, stets erst geritten, natürlich mit Ausschaltung des Galopps.Bei der Betrachtung der Equipagen fällt uns zunächst die äußerst sympathisch wirkende und wohltuende Gleichmäßigkeit der Haltung der Wagenführer auf, die auf eine gründliche Durchbildung auf Grund eines wohlerwogenen Prinzips schließen lässt. Die Haltung des Körpers, der Arme, der Peitsche, der Beine, die Führung der Kreuzleine (Doppelleinen gibt es nicht) sind wie bei dem Einen, auch bei dem Anderen vorhanden, wobei auch der vortreffliche Sitz der Livreen angenehm in die Augen fällt. Welche Arbeit darin steckt, bei etwa 300 Kutschern diese Gleichmäßigkeit zu erreichen, bedarf wohl kaum der Erwähnung. — Richten wir unseren Blick auf die Beschirrung und Anspannung, so fällt von vornherein die Korrektheit der Verpassung der Geschirre ins Auge. Da sitzt alles wie angegossen, es gibt keine umherbaumelnde. Zu lange Strupfen weder am Aufhalter noch am Geschirr, die Stränge sind bei genügender Spannung so lang, dass die Pferde ordentlich in das Kummet treten können und mit diesem und nicht mit dem Bauchgurt ziehen*), die Deichseln und mit ihnen die Aufhalter sind nach der Länge der Pferdekörper reguliert, so dass sie nur wenig die Pferdenasen überragen, jede Schnalle sitzt und wirkt richtig, die Pferde erscheinen kurz angespannt und haben doch genügende Bewegungsfreiheit, kurz, es ist eine homogene, vorbildliche Anspannung, von der man nur bedauern kann, dass sie nicht weiteren Kreisen gezeigt und — gelehrt wird. Besonders vortrefflich zum Ausdruck gelangt eine der schwierigsten Aufgaben der Fahrkunst, das richtige Verschnallen der Kreuzleinen, die allein es dem Kutscher ermöglicht, gut zu fahren. Danach sind also alle Faktoren gegeben, um den Kgl. Marstall bis in die Details vorbildlich auf dem Gebiete des Luxusfahrwesens erscheinen zu lassen.
— Das Wagenmaterial entspricht in seinen Formen ebenfalls den Forderungen des Modernismus und dürfte bereits schon jetzt mit Bezug darauf ganz neu ergänzt worden sein. Freilich muss man ein recht gewiegter Kenner der modernen Formen des Wagens sein, um das herauszuerkennen.  
 Wir gehen damit zur Betrachtung der einzelnen Equipagen über, die wir in der angenehmen Lage sind, unseren Lesern im Bilde vorführen zu können.
Das früher herrschende Prinzip, dass die Allerhöchsten Herrschaften eine besondere Farbe der Pferde, mit denen sie fuhren, bevorzugten, scheint fallen gelassen zu sein. So fuhren z. B. Friedrich Wilhelm IV. wie Kaiser Wilhelm 1. nur mit Trakehner Rapphengsten ersterer stets nur a la Daumont Königin Elisabeth mit Schimmelhengsten. Kaiserin Augusta mit Braunen, die sie seltsamer Weise die »alten Pferde« nannte. Nur in der Farbe der F a h r z e u g e ist noch insofern ein Unterschied. Als die Equipagen des Kaisers einen braunen ,die Ihrer Majestät, e i n e n dunkelblauen Grundton, letzterer in Silber abgesetzt, zeigen.

Der berühmte Schimmelzug der schnellen ungarischen Jucker ist in Reserve gestellt bzw. anderer Bestimmung zugeleitet worden.



Ein auserlesenes Paar dieser edlen Pferde finden wir im Parkwagen  (Abb. 1.) der Kaiserin wieder, den sie selbst lenkt. Der sehr hübsche etwas hohe Wagen (Duc) in Dunkelblau gehalten, sieht sehr vornehm aus, sodass er in Verbindung mit dem hervorragenden Schimmelpaar mit den hohen Gängen ein wirklich kaiserliches Gefährt darstellt. Die Pferde tragen leichtes Kummetgeschirr, Aufsatzzügel und wie bei jedem Selbstfahrer Kettenaufhalter.

 

 

 

 

Die drei nächsten Abbildungen führen in einigen Variationen das unentbehrliche nützliche Kupee vor Augen, in Abb. 2 bespannt mit zwei Trakehner Fuchshengsten für den Hofkavalierdienst.

 

 

 

 

 

 Nur unwesentliche Unterschiede von diesem zeigt der Brougham (Abb. 3) für den Dienst von Mitgliedern des Kgl. Hauses. Bespannt mit zwei Trakehner Kapphengsten, die Pferde tragen leichtes

Kummetgeschirr (ohne 1 Hinterzeug), keine Aufsatzzügel. Riemenaufhalter und Liverpoolkandaren.

 

 

 

 

 

 

 

Ein etwas anderes Bild bietet das Kupee d ' O r s a y (Abb. 4). Es zählt zu den schweren Wagen, denn es führt vorn ' und hinten C-Federn und demgemäß auch einen, der Form des Wagenkastens entsprechenden, vielfach gewundenen Langbaum. Die starken hannoverschen Braunen,hochgehälste Karossiers. haben schweres Kummetgeschirr (mit Hinterzeug), Lederaufhalter. Aufsatzzügel. Buxtonkandaren und rotseidene Stirnriemen, eine Zusammenstellung, die außerordentlich vornehm wirkt.

 

 

 

 

 

 

Der Landau ist ein Familienfahrzeug, der eigentlich nicht der Klasse der vornehmen Wagen zugerechnet wird. Er ist aber nützlich und praktisch, und tritt deshalb auch hierauf. (Abb. 5.) Wenngleich er seiner Länge wegen, ein schwerer Wagen ist, so tragen die starken hannoverschen Karossiers. die ihn ziehen, doch nur das leichte Kummetgeschirr des Gebrauchswagens.

 

 

 

 

 

 

Eine in schönen Linien gehaltene, auf Druckfedern montierte Victoria, für den Dienst der Kaiserin bestimmt, zeigt Abb. 6. bespannt mit zwei Trakehner Kapphengsten. Als leichtes Gefährt haben die Pferde leichte Kummetgeschirre, keine Aufsatzzügel und Liverpoolkandaren.

 

 

 

 

 

 

Mit C-Federn. Langbaum und Dienersitz ausgestattet ist die zweispännig a la d'Aumont bespannte Equipage Ihrer Maj. der Kaiserin, die von zwei Inländer-Karossiers gezogen wird. (Abb. 7). Die Pferde tragen schweres Kummetgeschirr, in dieser Bespannung stets Aufsatzzügel. Buxtonkandaren.die Jockeys tragen Sammetkappe und Perücken.

 

 

 

 

 

 

Abb." 8 zeigt eine Doppelkalesche, vierspännig a Ia d'Aumont mit deutschen Karossiers bespannt. Der schwere Wagen hat C-Federn. Langbaum. Doppelverdeck. Dienersitz, vorn - wie stets hei der dAumont-Bespannung, den Kutscherbock ersetzenden Kasten. Die Pferde tragen schweres Kummetgeschirr mit Hinterzeug (vorn Schlagriemen) und sind sonst wie oben beschrieben, equipiert.

 

 

 

 

 

 

Etwas leichter – mit nur einem Verdeck - im Übrigen, der vorher geschilderten sehr ähnlich, ist die mit gleicher Anspannung (Trakehner Kapphengste) versehene Kalesche, die in Abb9) dargestellt ist. Diese Gefährte werden vornehmlich von den weiblichen Angehörigen und Verwandten des Kaiserhauses benutzt.

 

 

 

 

 

 

Abb.10 die von Herrn von Achenbach mit Meisterschaft gesteuerte Coach .Die Bespannung dieser in dunkelbraun gehaltenen Coach an der Stange aus zwei hocheleganten Anglonormannen während die Vorderpferde Yorkshire-Kutschpferde sind. Sie tragen Coachgeschirr ohne Hinterzeug,Kettenaufhalter und Liverpoolgebisse.

 

 

 

 

Textbearbeitung : H.B.Paggen

Quelle: Sankt Georg 1911