Anhaltspunkte zur Beschirrung von Benno von Achenbach


 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Artikel von Benno von Achenbach aus der Zeitschrift Sankt Georg 1910 den wir hier im Original Text wiedergeben

 

 

 

 



 

Die gebräuchlichsten Arten anzuspannen, sind

1. Die englische,

2. die amerikanische,

3. die ungarische,      

4. die russische.

In sich ist jede dieser Aufmachungen — in ihrer Anwendung — nach Ort und Zeit verschieden. (Vergleich: Bummelanzug, Promenadenanzug, Gala.)

Um ein schönes Gesamtbild zu erzielen, empfiehlt es sich, die Zusammenstellung einer Equipage auf eine dieser allgemein anerkannten Formen aufzubauen. Ein Durcheinander aus diesen grundverschiedenen Stilarten kann unmöglich ein gutes Gesamtbild werden.

 

Man unterscheidet:


Gala-, Halbgala-, Stadt-, Park- und Land-Anspannung

 

Zur Gala und Halbgala eignen sich amerikanischer und Jucker-Stil nicht, weil Wagen, Pferde und Geschirre zu leicht sind und somit keineswegs zum Pomphaften passen.

Zur großen Gala gehören einfarbige Karossiers schwersten Schlages mit wirklichen Langschweifen (Krönungswagen, Staatskarossen in London und Wien).

Zur Gala und Halbgala rechnet man zwei-, vier-, sechs- und achtspännige Wagen mit großen Gala-Bockdecken, Karossiers in Geschirren mit reichen Beschlägen, Behängen, Federbüschen usw., gepuderter Dienerschaft, Piköre, Spitzreiter und Lakaien.

Gala und Halbgala werden a la d'Aumont vom Bock, vom Bock mit einem Jockey zum ersten Paar, sechsspännig vom Sattelstangenpferd mit einem Jockey zum ersten Paar und als Feierlichstes: Achtspännig, auf jedem Sattelpferde ein Jockey, (der Wagen ohne Bock) gefahren. Halbgala: zwei, vier (auch als Postzug) und 6 Pferde.

 

 

 

 

 

 

 

Stadt- oder Park-Gespanne.

 

1.            Vom Kutscher zu fahren oder a la d'Au-mont: Viktoria, Vis-a-vis, Barouche (Caleche), Coupé, Coupé Dorsay, Landauer. Juckergespanne Victoria, Omnibus

2.            Selbstfahrer: Mail-Phaeton, Demi Mail-Phaeton, Stanhope-Phaeton, Spider-Phaeton, Damen-Phaeton Duc. Drag (coach) char-a-bancs, ferner einspännig: Cabriolet, Tilbury, Buggy (engl.), Buggy (amerikanisch-vierrädrig). Tandem, Dogcart, Tonneau usw. Juckergespanne: zwei-, vier- und fünfspännig.

 

 

 

 

 

 

 

Land-Gespanne.

Alle englischen, amerikanischen, ungarischen Landwagen, Reisewagen, Breaks, Runabout, Tandem, Dogcart, Roadcoach usw.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei der Zusammenstellung einer »Equipage« ist der Kauf der Pferde das Teuerste und Schwierigste. Wagen, Geschirre und Livreen kosten stilrein und richtig nicht mehr als stillos und falsch; sind sie von bester Qualität, so halten sie bei sachgemäßer Pflege außerordentlich lange. Man sollte daher bei Neuanschaffungen nur richtige, gute Sachen kaufen und sich nicht erst nach wiederholtem Ärger, kostspieligen Änderungen und Tausch oder Wechsel zu Gutem emporschwingen.

 

 

 

 

 

 

 

Bei einer »anständigen Equipage« gibt es keine Vorspiegelungen falscher Tatsachen, z. B. Schein-Stummelachsen, Schein - C - Federn, Vorder - Koffer an d'Aumont-Wagen mit blinden Schnallen (die man weder öffnen noch schließen kann).

 

Nachbildungen lederner Stiefel-Stulpen aus Celluloid oder gut geputzter Kutscherstiefel in Lackleder. Weiße. Leinen- oder Kaschmir-Kutscher-Hosen (anstatt Leder) mit Knüpfen, die man nicht knöpfen kann. Durch Vernicklung vorgetäuschter guter Putzzustand der Gebisse, Deichselköpfe, Ketten, Ortscheitbeschlage.

 

Bei Gala- und Halbgala - Geschirren sind Deichselhaken, Brillen und Beschläge, Gold oder Silber plattiert. Bei allen offenen Stadt- oder Park-Equipagen, vom Kutscher oder selbst zu fahren: Stahl, poliert, bei einfachen geschlossenen Stadt- oder Parkwagen (Landauer, Coupe) schwarz bevorzugt.

 

Bei jeder Landanspannung, ob englisch, ungarisch, amerikanisch oder russisch schwarz

 

Ein Hauptfehler der Teilnehmer an den Preisbewerbungen ist die mangelhafte Kenntnis der allgemeinen Bestimmungen und Propositionen.

 

Heißt es in einer Nummer: Beurteilung Gesamtbild, so sagt sich ein Bewerber, der schöne Pferde hat : » Wenn auch Kutscher und Livree, Wagen und Geschirre nicht ganz stimmen, die Pferde schlagen doch alles.«

 

 

 

 

 

 

Ein anderer denkt: »Der X mit den Pferden, die gar nicht »so herrlich« sind, hat alles »unkorrekt«: die Schnallen sind eckig, der Wagen ist rund, folglich kann er keinen Preis bekommen, wenn die Richter gerecht sind!« — Wird der Mann mit den schönen Pferden geschlagen, so ist er zornig und geht laut schimpfend ab, wird der »Schnallen-Kleinigkeitskrämer« geschlagen, so geht dieser schnaubend heim. Bekommt nur einer, der das beste Gesamtbild zeigt, den ersten Preis, und die anderen Teilnehmer wurden begreiflicherweise nicht Erster, so sind diese pikiert und brummen einstimmig: »Wir kommen nie wieder.«

 

 

 

 

 

 

 

Oft hört man sagen: »Der oder jener ist ein entsetzlich strenger Richter, der hat an allem etwas auszusetzen« usw.

 

 

Wie denken sich wohl die Konkurrenten das Richten?

 

»Der gnädigste von allen Richtern ist der Kenner«! sage ich.

 

Angenommen, den Richtern stehen drei Preise zur Verfügung, und es sind sechs Konkurrenten da. Ob streng oder mild, drei gehen leer aus, von den drei anderen bekommt der Beste den ersten Preis, wenn die Richter Kenner sind; sind sie Nichtkenner, was hoffentlich nicht vorkommt, so kann ein falscher Spruch herauskommen, das passiert den »milden« aber eher, weil sie oberflächlicher prüfen und daher leichter irren. Vom Kenner kann der Bewerber lernen — notabene — wenn er will. Lernen wollen aber die Bewerber in den seltensten Fällen, sie wollen den ersten Preis haben!

Um möglichst gut abzuschneiden, muss man sich Mühe neben, wirklich Mühe geben.

 

 

 

 

 

 

 

Oft wird man einen Tag vor dem Concours gefragt, ob das Gespann »so« richtig wäre. Es ist natürlich zu spät, große Fehler abzustellen. Das größte Unglück ist, dass häufig alles neu so angeschafft wurde, dass nichts zueinander passt, dass kein Stil darin ist und die Details falsch oder missverstanden sind. Hätte sich der Bewerber frühzeitig, was ich »wirklich Mühe geben« nenne, bei einem Kenner informiert, so wäre das Gespann für das gleiche Geld besser ausgefallen, die Sieges- oder Platz-Chancen wären grösser gewesen. Alle an dem Gespann Beteiligten, Besitzer, Kutscher, Wagenbauer usw. hätten etwas gelernt, so aber ist es, als ob man ein Paar Stiefel, die zu eng sind, auf den Leisten spannt, da ist wenig mehr zu machen, der Schuh drückt weiter.

 

Ein Herr hat einen stillosen Selbstfahrer für kleine Pferde, er möchte ihn, da er augenblicklich ein großes Pferd hat, einspännig zeigen, ein anderer Herr möchte ein Tandem an einer niederen Dogcart vorführen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Man soll beraten.

 

 

Ist man »streng« und sagt, dass das nicht gut ginge, das Gesamtbild würde mangelhaft, so ist's nicht recht.

 

Redet man »mild« und redet zu, so werden die Herren nicht prämiiert, weil bessere Gespanne da sind.

 

 

Es ist wirklich nicht immer leicht zu beraten.

Angenommen, man überzeugt den Besitzer der kleinen Dogcart, mit dem besseren Pferde einspännig zu kommen und was noch schnell zu verbessern ist, machen zu lassen, so trifft er vielleicht — selbst leidlich herausgebracht — in der Nummer »Einspänner Selbstfahrer « zehn Teilnehmer. In der Tandemnummer erscheinen nur drei Bewerber, einer mit niedriger Cart und unbedeutenden Pferden. Dieser bekommt aus Milde noch den dritten Preis. Hätte der Herr, der sich Rat holte, nicht gefragt, nichts machen lassen, so hätte er den dritten Preis gehabt, weil sein Gespann - doch noch besser war als das jetzt prämiierte. Der andere geht unter den zehn Einspännern leer aus. Dem leer Ausgegangenen und der guten Sache hätte der Unglück bringende Rat doch genutzt unter Umständen — wenn die strengen Richter das dritte Tandem nicht prämiiert hätten. Aber dann das Geschrei! — Nach den allgemeinen Bestimmungen sind die Richter nicht gehalten, alle ausgesetzten Preise zu vergeben. Immerhin sollte sich kein Geschlagener damit begnügen, auf die Richter zu schimpfen, sondern sich alle Mühe geben, das nächste Mal wirklich möglichst gut herauszukommen:
Die Pferde sollten gut, nein tadellos gehen, die Nasen fallen lassen, kauen, nicht ab deichseln, gleich-mäßig arbeiten, möglichst rein traben, Schritt gehen, ruhig stehen, desgleichen anziehen, zurücksetzen, kurz alles möglichst können, was man von einem fertigen Pferde verlangen kann. Die Fahrer, ob Herren oder Kutscher, sollten sich, viel mehr als bisher geschehen, üben, richtig und als ob sie sich sicher fühlten auf dem Bocke sitzen, weder vornüber noch hintenüber, die Hände weder unter der Nase noch über den Knieen. Die Pferde sollen nicht bummeln, sondern ihr Bestes hergeben. Dazu muss der Fahrer besonders beim Tandem und Vierspänner von der Peitsche richtigen, sichern und schönen Gebrauch machen können. Das verstehen nur die Allerwenigsten, weil sie es nie üben und das, weil die Passion fehlt. So kommen seit einer Generation und länger unsere Fahrer auf die Concours; immer dieselbe Unsicherheit, die in wenigen Übung-stunden abgestreift sein könnte.

Die Peitschenschnur hundertmal um den Stock gewickelt, und das zurückhängende Stangenpferd Stock an der Kruppe gestoßen, das ist die Peitschenführung, die man zu sehen bekommt.

Das ist aber noch nichts gegen die Leinenführung! Ich sehe mir besonders alle Wagen an, die umwenden wollen, da beobachtet man am deutlichsten die Planlosigkeit und Unsicherheit. Wie einfach ist es.

Wie man »vorschriftsmäßig« Kandaren- und Trensenzügel beim Reiten hält, das weiß jeder, der Kavallerist war oder der nur einige Stunden in einer Reitbahn nahm. Wie man sie hält, deutsch, englisch, französisch usw., und ob sie durcheinander rutschen, ist verhältnismäßig gleichgültig, denn es hängt nur ein Pferd daran, das auch dann auf dem Reitwege bleibt, wenn ein Zügel mehr ansteht als ein anderer. Auf der Fahrstraße ist das anders, kaum einer von hundert weiß, wie man »heutzutage« die Leinen führt. Dabei kommt es so sehr darauf an, will man nicht mit Kraft- und anderen Wagen jeder Art zusammenrennen, nicht an Bordschwellen anecken und. auf dem glatten Fahrdamm die Pferde hinwerfen.

Häufig sieht man Herren und Damen mit einer Leinenführung, die der Haltung von Knallbonbons entspricht, die man mit seinem vis-a-vis losschießen will. Viele Fahrer, speziell in Berlin, fahren ein Pferd mit vier Leinen, meistens stehen nur die zwei rechten Zügel in Verbindung mit dem Maul, die Nase rechts, von Beizäumung keine Rede. Wenn das das Richtige wäre, müssten diese Herren zweispännig mit acht, vierspännig mit sechzehn Leinen fahren, um das nach ihrer Ansicht richtige »Spielen mit der Hand« ausführen zu können. Vier Leinen bei einem Pferde sehen plump aus, ebenso, nein noch schlimmer sind die zwischen Kummet und Maul gespaltenen Leinen, weil man das überflüssige plumpe Riemzeug nicht entfernen kann, ohne neue Leinen anzuschaffen.

 

Das Fahren eines oder zweier Pferde mit vier Zügeln hat auch den Nachteil, dass das grade das Gegenteil einer Vorübung. zum Tandem- • oder Vierspännig Fahren ist. Wenn jemand . noch so viel auf Kandare und Trense reitet —: das sind auch vier Riemen in der Hand — so ist das absolut keine Fahr-Vorübung, die »Leinen« kommen dem gewandtesten Reiter nicht nur durcheinander, sie gleiten ihm besonders leicht durch, sodass ihm Vorder- und Hinterpferde anfangs besonders häufig schieflaufen. •

Textbearbeitung :  H.B.Paggen

 Quelle: Sankt Georg 1910