Benno von Achenbach-Englische-Anspannung 1911 Teil 10


Abb.1

 

 

Das früher in England so beliebte Tandem ist heute kaum außerhalb der Ringe der englischen oder irischen Shows zu sehen. Und was man dort sieht, sind keine wirklichen echten Tandems,sondern zwei eingehetzte Hackneys, die vielfach fehlerhaft angeschirrt und an irgendeinem zweirädrigen niedrigen Wägelchen, mit Gummirädern, herumgejagt werden. Diese englischen Pferde-Material-Prüfungen haben zur Folge gehabt, dass deutsche Besucher englischer Schauen, besonders der Olympia Show, glaubten, die interessante Entdeckung gemacht zu haben, in England seien richtige (hohe) Tandemcarts »verpönt«. Den Trugschluss kann nur einer ziehen, der den Fahrsport Englands
in seiner Blüte nicht gekannt hat, der die klassischen Kupferstiche nicht kennt und dem das Bild eines echten Tandems nicht vorschwebt.

Ob das Tandem, wie man heute glaubt, daher entstanden ist, dass der Jagdreiter seinen Hunter auf die bequemste und sicherste Art als Leader zum Meet beförderte, möchte ich bezweifeln. (Abb. 1.)

 

 



Aus der Literatur ist es ebenso wenig festzustellen, wie aus alten Bildern.

Passion zum Fahrsport aber, und der häufige Besitz einer Dogcart,
der weit seltenere einer Coach und von vier Pferden,
veranlasste oft zwei Freunde, ihre beiden Hunter oder Ponys als Tandem zu verwenden.

Einem wirklich passionierten Fahrer bereitet das graziöse etwas schwierige, und beim Einfahren besonders reizvolle Tandemfahren einen genau so großen Genuss, wie die mehr vorstellende Coach.

(Vergl. General Sir C. Teesdale in des Duke of Beaufort »Driving«. Cap. C. Morlev Knight, »Hints on Driving«. Hints to Young »Tandem Drivers«, by An old Hand, Oxford, T. Schrimpton and Son. 1875. »Driving as I found it«, by Frank Swales, London Brentano's. 1891).

Vor dem Kapitel über Tandem der Lady Georgina Curzon in des Herzog von Beaufort »Driving« ist in fast allen Punkten zu warnen.
 

Abgesehen vom köstlichen Sport im Park zu fahren, kann ein Tandem auch sehr nützlich sein. Man befördert vier Personen, Gepäck, Hunde. Die Gart und zwei Pferde sind leichter unterzubringen als ein Viererzug. Der Wagen läuft auf den sehr hohen Rädern sogar auf schlechten Wegen leicht. Mit dem »Vorspann« bewältigt man Steigungen und weiche Wege ohne Anstrengung der Pferde. Die Tandemcart gelegentlich einspännig zu fahren, hat mehr Berechtigung als ein niederes Einspänner-Vehikel auf Schauen als Tandem ausgeben zu wollen. Der Earl of Lonsdale, Präsident der Olympia-Show und Richter der dortigen Appointment Klassen, sowie andere englische Autoritäten geben mir durchaus recht, dass ein Tandemgespann nur dann einen Sinn an einem andern Wagen als an der Tandemcart hat, wenn man in einer Pferde-Material-Prüfung auf einer Schau konkurriert, bei der es eben einzig und allein auf die Pferde ankommt, es also für die Aussteller unnütz kostspielig wäre, mit den großen schweren Tandemcarts für diese eine Nummer von einem Ort zum andern zu reisen. Das Gesamtbild der Tandems wird in England und Irland nicht beurteilt.

 

Der Satz: »If you wont to break your neck go in a tandem«, ist bekanntlich von einem englischen Pferdehändler erfunden worden, der all seine Pferde als: »quiet in any harness« anpries, sie aber lieber bona fide (hier: »wer so dumm ist und glaubt es«) als vollkommen zuverlässig verkaufte.

 

 

 

 

 

 

 Von 1876 bis jetzt fahre ich Tandem, (Abb. 2) habe deutsche Pferde, engl. Vollblut, Ungarn, Hackneys, Munter, Traber, Anglonormannen, Argentinier u. A. vorne gefahren, alle sind gut gegangen bis auf eine russische Schimmelstute, die schlug, sich dabei hinsetzte und einige Tage dicke Hacken hatte. Keinem meiner Freunde ist jemals etwas zugestoßen, bis auf einen Herrn, dessen Dorfschmied die Haken der Ketten des Ortscheits schlecht gemacht hatte, sodass sich einer löste, die Kette dem Gabelpferd um die Hinterbeine schlug und dieses erschreckt weglief. Daraus hätte freilich ein schweres Unglück entstehen können, aber nur die mangelhafte Befestigung trug die Schuld daran, nicht dass zwei Pferde hintereinander gingen.
 
Wer heute noch die Passion und den Mut hat Tandem zu fahren, der tue es auch ordentlich. Es ist bei allen Dingen der Mühe wert, das, was man tut, auch gut zu tun. Wenn Leute über Fahrsport schreiben. B.: da ist einer, der schadet der Sache, weil er Stil bis in die kleinste Schnalle verlangt, so ist das blühender Unsinn, denn vom Bauerngeschirr bis zum Galageschirr hat wohl noch nie ein Sattler runde, abgerundete oder eckige Schnallen durcheinander gebraucht, ebenso wenig wie ein Baumeister an einem Hause Gotik mit Louis XV1. zusammenstoppelt oder ein Schneider verschiedene Knöpfe an einen Rock setzt. Die wenigen Berliner Gespanne, die noch vorhanden, sind ja besser geworden, aber es gibt immer noch bügelnde russische, aller Mähnen- und Schweifhaare beraubte Hengste oder diese mit Schweifen bis an die Erde; russische Aufhalter, Wiener-Leinen, Lackstiefel mit weißen Lack- oder Celluloid-Stulpen, Tüllen-Gummiräder, Kutscher im Cholerasitz und ähnliche Brechmittel. Wie zur russischen Troika keine kupierten englischen Wallache passen, so gehören zum Tandem niemals russische Hengste, am wenigsten solche mit wallenden Mähnen, Langschweifen und bunten Hanfzügeln.

 

 

 

 

Um ein ordentliches Tandem herauszubringen, muss man allerdings eine wirkliche Tandemcart besitzen, (Abb. 3) stark, breitspurig und hoch. Nur von oben kann man sehen, was vor dem Spitzpferd im Wege ist. Dass die Cart für Cobs oder Ponys niedriger sein muss als für Pferde von 1,68 bis 1,70, ist selbstverständlich.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die besten Tandemcarts sind vom Bocksitze aus während des Fahrens zu verstellen. Eine Kurbel hierzu und die Bremse oberhalb derselben erleichtern das Ausbalancieren und hemmen außerordentlich. Wagen, auf denen man nicht den ganzen Kasten, sondern die Bänke verstellt, haben nie gute Sitzverhältnisse.

Ich halte eine gute Bremse beim Tandem für wertvoller, als bei irgendeinem anderen Wagen; die Karre schiebt durch die hohen Räder enorm nach, wenn einmal in Schwung, sodass das Gabelpferd sie auf dem Asphalt kaum aufhalten kann, wenn es auch will. Auf glattem abschüssigem Pflaster, mit vier Personen darauf und starkem Wind im Rücken ist eine gute, sichere Bremse für den bedrängten Wheeler eine große Erleichterung. Eine Folge der hohen Räder sind die fast graden Scheerbäume, die horizontal liegen sollen, damit die Sitzkissen nicht schräg liegen; die hinten Sitzenden sollen es ebenso gut haben wie auf einem vierräderigen Wagen.

 

 

 

Das Vorderpferd ist viel nützlicher als der Nichtkenner glaubt. Bei Gegenwind, auf weichen Wegen und bergan läuft der schwere Wagen schwer genug, um von zwei Pferden gezogen zu werden. Man muss Touren geradelt haben, um beurteilen zu können, welchen Widerstand der Gegenwind bietet. Im Lehnstuhl aus dem Baedeker kann auch der Schlaueste die Arbeit nicht berechnen. Da sind weder Gegenwind noch lange aufgeschotterte Strecken verzeichnet, die bergauf ganz außerordentliche Leistungen der Pferde verlangen. Um ein anständiges Tandem zusammenzustellen, muss man zunächst ein gutes Gesamtbild im Auge haben, das nicht an Kümmeltürken oder Bieber-Ritter eines Kleinstadt-Maskenballes erinnert, sondern verstanden und im Stil richtig ist. Ist wirklich alles verstanden und gekonnt, so ereignet sich so leicht kein Unglück. »Wer Unglück haben soll, stolpert im Grase, fällt auf den Rücken und bricht sich die Nase« ist im Fahrsport ein grundfalscher Satz. Zum Stil des Tandems gehören: eine gute, starke, hohe Cart, auf der vier Personen wirklich bequem sitzen können, ein richtiges Geschirr, gängige Pferde mit federnden Tritten, hohem Schweif, schönem Halse und besonders für den Leader schöne Ohrenstellung, d. h. weder Schlapp- noch holländische Hasenohren. Als Begleiter ein Groom, jung, schlank und fix. Ein rundlicher erster Kutscher passt auf Coupe, Victoria, Barouche usw. Wegen der Sicherheit ist außer der Bremse zu beachten, dass das Gabelpferd soweit vom Wagen entfernt sein muss. dass das Fußbrett beim Parieren keinesfalls gegen den Schweif stößt. Ist das doch der Fall und versucht das Hinterpferd zu schlagen (selbst mit starkem Schlagriemen) so schlägt das Brett erst recht auf den Schweif, ebenso wenn der wheeler angaloppiert und man zu stoppen versucht. Also verhältnismäßig lang anspannen. Je länger die Hebelarme der Scheere sind, desto leichter und angenehmer fürs Pferd. Je weiter sie sind, desto freier kann es sich in Wendungen und beim Umkehren bewegen. Je weiter vorne die Trageösen der Sellette an den Lanzenholz-Bäumen liegen, desto besser federn diese: eine große Annehmlichkeit für Pferd und Fahrer. Ganz grade Scheere ist nicht zu empfehlen, weil sie sehr schlecht aussieht, sobald sie etwas belastet ist. Sie gibt mit der Zeit nach, wodurch der Wagen aus der Rumpelkammer ausgegraben erscheint. (Abb. 4.)

 

 

 

 

 

 

 

Die Tandemcart soll keine Lehne haben, weil diese bergab verhindert, dass man sich zurücksetzen kann, einem aber bei Galopp dem oder stolperndem Pferde wüst ins Kreuz Stockkorb und Coach Horn sind zu vermeiden, man soll sich nicht aneignen wollen, was einem nicht zukommt. Gegen ein Tandemhorn, so wenig, aber so gut wie möglich geblasen, ist nichts einzuwenden, man befestigt es an der linken Seite der Gart, da dort der Groom meistens sitzt. Auf Abb. 4, mit dem Dienersitz vorwärts, hat man wenig Raum Gepäck und Jagdhund mitzunehmen, sie ist nur für drei Personen berechnet. Die Lehnen sind schon besprochen. Die Spitzen der Scheerbäume sollen niemals Ösen haben, weder für ein Kettchen. noch um die Tandemstränge einzuhaken. Einen größeren Fehler kann man nicht machen, weil (las Vorderpferd den Wagen unmittelbar herumreißt, wenn es sich auch nur wenig in die Wendung oder zur Seite wirft. Die Vorderstränge gehören in Augen gehakt, die sich an den Schnallen der Gabelpferd-Stutzen befinden. Die Hinter Stränge sollen — wenn die Vorderstränge kein Doppelortscheit haben, an einem nur in der Mitte befestigten Ortscheit ziehen. Damit die Außenstränge in den Wendungen nachgeben können, die  Innenstränge sich entsprechend  verkürzen

Benutzt man vorne lange Stränge und hat an der Cart kein Ortscheit, so hängt der Innenstrang in den Wendungen tief herunter, das ist aber noch weniger gefährlich und darum nicht so falsch, als das Einhaken an den Scheerenspitzen. Über die Stopps und andere Dinge, die für Dogcart und Tandem gleich sind, schrieb ich bereits, dort sind genaue Illustrationen. Auf Abb. 4 sitzen die Krampen, wenn für das Hinter Geschirr gedacht, zu weit hinten, für einen Schlagriemen zu weit vorne. Die Tritte sollen wegen des Schmutzes keine Platten sein, sondern aus hochkantig stehendem Bandeisen und so abgerundet eingefasst sein, dass sich das Gabelpferd beim Ausgleiten oder Ausschlagen keine Sehne zerschneidet. Ist das Ortscheit anstatt ‘in der Mitte, mit zwei Riemen an den Seiten befestigt, so hat das keinen Sinn, denn bei der ersten ungenauen Wendung platzen diese Strippen. Handgriffe am Fußbrett sind beim Absteigen gefährlich, da man beim Tandem mehr vorwärts absteigen muss, als bei der Coach. Riemen zum Aufsteigen sind nutzlos, sogar gefährlich. Ruckt ein Pferd im mindesten an. so gerät man durch die Riemen in taumelnd-kreiselnde Bewegung und das Rad. Die Laternen sollen nicht hoch über den Rädern sitzen wie hier, sondern tiefer, das Riesen-Wappentier ist gemein. Auch hier, wie bei der Coach sollen die Laternen nicht den Dampf erhitzter Pferde beleuchten und dadurch den Fahrer blenden, sondern die Straße und deren Gräben kenntlich machen. Die Gleitschienen an den Scherbäumen sollten oberhalb liegen und an zwei Seiten daran befestigt sein. Zwei Tritte für den Groom sind fehlerhaft, es ist ja nur ein Sitz da. Die Stützknöpfe sind überflüssig. Ist kein Bock zur Stelle, so lässt man die Cart vorne herunter, daher die Scheerenspitzen Stahl, nicht die sich leicht abstoßende Plattierung. Nach dem Nabenband zu schließen, sind hier imitierte Mail-Achsen. Empfehlenswert ist, natürlich wo es möglich, die breite englische Spur, dazu die weniger als bei Collinges-Patent- vorstehenden Stummelachsen. Die Räder haben fälschlich nur 12 Speichen anstatt 14-16.

 

 

 

 

 

 

 Abb. 5 zeigt ein sehr gutes Gespann des Herrn Jacobs. Der Wagen, genau Holland-Modell von Jos. Neuss Berlin, das Geschirr von J. Erb Berlin, alles richtig und schön, vom Prinzen Friedr. Schoenburg tadellos gefahren.

 

 

 

 

 

 

Fast gleich diesem Wagen ist der von Kühlstein gebaute Abb. 6, nur mit dem Unterschied. dass Scheere und Kasten etwas höher über der Achse stehen.

 

 

 

 

 

 

Beide Carts sind nach dem Tandem des Königl. Marstalls (Abb. 7) (von Arnold Israel Söhne Mülheim, nach dem Modell von Holland & Holland London) nachgebaut. Die Einzelheiten des Wagens sind im Profil gut zu sehen.

 

 

 

 

 

 Abb. 8 ist nach einem Stich von Walsh. betitelt: »A spicy team«. Sind Details, wie Geschirr und das schiefe Laternchen auch ungenau, so ist doch das Gesamtbild ein echtes Tandem. Sir Walter Gilbey sagt in seinem Buche »Modern Carriages«: Über die Tandem-Cart ist nicht viel zu sagen, sie unterscheidet sich von der »white-chapel« hauptsächlich durch die Höhe des Fahrersitzes. Die Tandemcart ist die einzige Art der Dogcarts, die immer hoch bleiben muss

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Textbearbeitung H.B.Paggen

Quelle: Sankt  Georg 1911