Der ehemalige Königliche Marstall in Berlin Teil 4




Abb. 19 zeigt einen Damen-Selbstfahrer, der gegen den alten ganz tiefen Wagen die großen Vorteile hat, viel höher und kürzer zu sein. Der alte tiefe Sitz. machte der Fahrerin den notwendigen Ausblick unmöglich; es waren nur die Kehrseiten der Pferde, weder der Rücken noch die Köpfe zu sehen. Die Leinen hatte11 die sehr unwirksame und unangenehme Verbindung mit den Pferdemäulern über eine hochgelegte Stange. Diese Nachteile fallen bei dem neuen Wagen alle weg. Die Griffe am Einstieg sind hier ganz richtig.

 

 

Abb. 20 Tandem-Cart, ein ausgezeichneter Wagen, hoch genug, wie es für ein Tandem sein muss, so dass der Fahrer weit voraussehen kann, um sein Vorderpferd wirklich sicher führen zu können. Der ganze Wagenkasten läuft auf vier Schienen. Rechts vorn Fahrer befindet sich eine Kurbel, die es während des· Fahrens ermöglicht, das Gleichgewicht genau herzustellen. Über dieser Kurbel befindet sich die Bremse, mit der man die steilsten Berge hinabfahren kann, ohne das Pferd im mindesten zu belasten, weil man durch Zurückschrauben des Kastens das ganze Gewicht. zurückverlegen kann, dass die Bremse ihm zuschiebt. Ein Ortscheit zieht an zwei Ketten von der Achse; in der Mitte hängt es an einem Kettenglied mit Haken. Gebaut von Zimmermann, Potsdam

 

 

Abb. 21 Coach, gebaut. von M. Hähn: in Köln, der wahre Vierspänner-Wagen für große Pferde. 2, 4, 4, 2 Sitze.

 

 

Die kleinere, mit 2,3,3,2 Plätzen ist von Holland & Holland.' Abb 22. • Gewichte: 24 und 18 Zentner. Der bei Besetzung hochliegende Schwerpunkt verlangt. breite Spur und Langbaum-Untergestell, wodurch tadellose Stabilität, selbst im flotten Galopp, erreicht wird. Da beim Langbaumgestell die Deichsel nicht über den Federn, sondern geradewegs von der Achse in der Richtung auf die Schultern der Vorderpferde läuft, so ziehen diese vollendet richtig. Die Wagen können einen Kreis von rund 11m Durchmesser laufen, man kann mit ihnen, auch sechsspännig, durch die engsten Gassen Berlins und um die schwierigsten Ecken mit größter Sicherheit fahren. Bei Regenwetter ist innen für 4 Personen Platz. Fehler der älteren Vierspännerwagen waren die nicht von Langbaumgestell, sondern von den Pferden mit den Aufhaltern getragene Deichseln und Vorlegewagen (Vorderbraken)dann die eingeschraubten Viererhaken, vor deren Unzuverlässigkeit nicht genug gewarnt werden kann. Die Vorder-Ortscheite waren wie für die rundgenähten Stränge der Jucker-Anspannung. „Vorderstränge" gab es früher nicht, so dass entweder die Spitzpferde viel zu lang angespannt waren oder diese Stränge vorne, weit aus den Schlaufen heraus-baumelten. Die vorzüglich und unter allen Um-ständen sofort die Räder feststellenden Zug -Hebelbremsen sind als Vorbild für alle neuen Wagen benutzt worden.

Die richtigen, so einfachen Coach-Bremsen sollten allgemeine Verbreitung finden. Ihre Sicherheit beruht erstens darin, dass der ganze Hebelarm als Feder am Zahneisen ausgenutzt wird, wodurch jedes Versagen ausgeschlossen ist. Zweitens, dass die Zähne etwa dreimal so groß sind als diejenigen für den Federgriff. Von Wilhelmshöhe herunter sind die Königl. Kutscher oft in schwierige Lagen geraten, weil sie die alten Druckbremsen den ganzen Berg hinunter mit der Hand festhalten mussten, da infolge der winzigen Zähne oder wegen des Versagens der kleinen Feder am Handgriff kein an-derer Ausweg blieb. Die vom Langbaum getragene11 Deichseln haben neben der erwähnten Entlastung der Pferde noch den unschätzbaren Vorteil vor über den federn liegenden Stangen, dass der Fahrer bei dunkelster Nacht mit Sturm und Regen genau feststellen kann, ob die Vorderpferde ziehen oder nicht. Ruhig liegen die Vorderortscheite nur, wenn· ihre Stränge sie „tragen 11, sobald man aber die Spitzpferde etwas zurücknimmt, wie es auf Asphalt und bergab sein muss, hört man sie mehr oder weniger rasseln.

 

 

Nicht weniger erwähnt bleiben dürfen die neuen Einfahrwagen Abb.23.Wie die Coupés, Landauer und Viktoriawagen sind sie von Andres Nachfahren, Kühlstein (Rühe) Neuss und Zimmermann gebaut. An dem hier dargestellten (ersten neuen Modell) sind unwesentliche Änderungen gemacht worden, nur eine, wichtige, dass die Holzgalerie durch eine eiserne ersetzt, wurde, damit diese Wagen, ohne Schaden zu nehmen, als Kofferwagen benutzt werden konntet,

 

 

 

Abb. 24 zeigt einen Wagen aus der Periode des tiefsten Standes der Berliner Fahrerei. Der kleine Wagenmeister Schnaak, ein vorzüglicher Mann, fand bei ganz durchgedrückten Knieen eben Platz; wer mittelgroß, war und nicht „stand", sondern „saß", bekam unweigerlich \Wadenkrämpfe durch das fast senkrechte Fußbrett. Die Bremse, war im wahren Sinne des Wortes ein Unglücksinstrument; das Zahneisen lag im Einstieg, der Hebel versperrte ihn vollkommen, wenn angestellt. Es, war dadurch unmöglich rechts abzusteigen, wenn ein Pferd auf nassem Asphalt fiel.

Aus der gleichen Zeit wie dieses Wagenmostrum stammten auch die gelben Gamaschen und Plüschhosen der Kutscher. Von 1905 an gab es durch, weg weiße Lederhosen und wichslederne hohe Stiefel mit Leder-Tonstulpen.

 

Der schönste Selbstfahrer für zwei mittlere breite und für Pferde bis etwa 1 75 Bandmaß ist der Mail-Phaeton mit den beiden Trakehner Fuchshengsten,
von Exzellenz Frhr. v. Reisebach gefahren.

 Abb. 25. Es waren drei dieser Selbstfahrer im Marstall in verschiedener Größe, gebaut von Israel-Söhne &. Neuß. Der größte war auch für vier kleine Hackneys zum vierspännigen Fahren eingerichtet (d. h. er hatte eine zweite Deichsel mit Haken). Alles. an den Wagen war tadellos die richtige Zugbremse, die nach unten in die Linie verlaufenden Griffe bei am Wind ermöglichten Einstieg, die doppelten Sturmstangen,
die es bei Wind ermöglichen, geschützt,aber nicht verdeckt zu fahren.

 

 

Textbearbeitung . H.B.Paggen

Quellen: Deutsche Fahrzeug-Technik 1919 Sammlung Verfassser